Zu Gast in Capixaba

Als ich am 18.8. zum letzten Mal für dieses Jahr in München in die Straßenbahn
eingestiegen bin, war ich gleichermaßen voller Vorfreude wie angespannt. Wie wird dieses
Jahr in Brasilien sein? Wie werde ich das erste Mal allein so weit entfernt von Zuhause
zurechtkommen? Kann ich mich dort überhaupt verständigen?
Zweieinhalb Monate später kann ich diese Fragen mit „sehr, sehr schön“, „irgendwie schon“
und „mal mehr, mal weniger“ beantworten. In diesen zwei Monaten habe ich sehr viele tolle
Momente erlebt, habe unheimlich viele neue Dinge gelernt und ganz viele nette, offene und
herzliche Menschen kennengelernt.

Meine Zeit in Brasilien begann erst einmal turbulent am Flughafen von São Paulo, aber trotz eines verpassten Anschlussflugs sind wir dank Jonis Portugiesischkenntnissen in Porto
Alegre angekommen. Dort hatten wir zunächst ein einwöchiges Vorbereitungsseminar
inklusive Sprachkurs und konnten einen ersten Eindruck von unserem Gastland gewinnen. Nach acht Seminartagen ging es dann für alle weiter zu ihrer Einsatzstelle. Nach weiteren
drei Stunden Flug bin ich in Vitória im Bundesstaat Espírito Santo angekommen. Vom
Flughafen ging es dann noch einmal drei Stunden über kurvige Bergstraßen in das kleine
Dorf Serra Pelada, wo meine Einsatzstelle liegt.

Die Hauptstraße von Serra Pelada

Meine Einsatzstelle

Das ADL (associação diacônica luterana) ist ein Internat der lutherischen Kirche in Brasilien,
in dem Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren leben und lernen. Die Schüler*innen besuchen am Vormittag Kurse, z.B. Musiktheorie oder Theater, die im ADL angeboten werden, und am Nachmittag die staatliche Schule hier im Dorf. Hier im ADL geht es vor allem immer viel um Musik. Es gibt einen Chor, der besonders zur Weihnachtszeit Auftritte in ganz Espirito Santo hat und alle Schülerinnen hier spielen auch mindestens ein Instrument. Außerdem finden hier im ADL auch noch viele andere Veranstaltungen wie Tanzkurse, Konfirmandentreffen oder andere Seminare statt und es gibt eine Nachmittagsbetreuung für die jüngeren Schüler aus dem Dorf, die am Vormittag Schule haben. Das ist auch der Bereich, in dem ich bisher am meisten helfe. Meistens spiele ich mit den Kindern Fußball, was hier immer ein guter „Eisbrecher“ ist und ganz ohne Sprache funktioniert, aber häufig fragen mich die Kinder auch zu allen möglichen Sachen in Deutschland aus. Viele Kinder wollen zum Beispiel wissen, ob es ihre Familiennamen auch in Deutschland gibt, ob diese Früchte oder Tiere auch in Deutschland wachsen bzw. leben oder ob ich Messi oder Ronaldo besser finde (natürlich Messi). Die größte Freude kann ich den Kindern aber machen, wenn ich ihre Namen ausspreche, da ich für brasilianische Ohren anscheinend
sehr komisch spreche und das “muito engraçado” (sehr lustig) ist.

Der Eingang zum ADL

In meiner Einsatzstelle gab es jetzt schon seit mehreren Jahren keine Freiwilligen aus
Deutschland mehr und deswegen freuen sich die Leute hier im Dorf und in meiner
Einsatzstelle sehr, einen “Gringo” zu treffen. In meiner Gegend verirren sich nur selten
Ausländer, besonders Europäer. Trotzdem ist den meisten Menschen hier die deutsche
Kultur nicht fremd, denn in Espirito Santo haben viele Menschen deutsche Vorfahren, die als
Auswanderer Ende des 19. Jahrhunderts vor allem aus dem damaligen Pommern kamen.
Deren Traditionen werden hier immer noch aktiv gelebt und es gibt hier deutsche Tanzgruppen, das “Wurstfest” bei dem deutsche Kulinarik zelebriert wird und sogar einen eigenen Dialekt, der ein bisschen wie Plattdeutsch klingt. Dieses „Pomerano“ hat mir am Anfang häufig geholfen, da ich teilweise Dinge nicht auf portugiesisch, aber auf “Pomerano” verstanden habe. Was mich anfangs auch sehr verwirrte: hier werden alle Schüler*innen mit blonden Haaren immer als „Alemão“, also Deutsche/r bezeichnet und ich habe mich immer angesprochen gefühlt :). Eine weitere Tradition hier am Ort sind die „Pommerschen Hochzeiten“, riesige Hochzeitsfeiern, zu denen jeder kommen kann, der Eintritt bezahlt und welche eigentlich mehr Dorffeste sind. Gleich zu Beginn meiner Zeit hier fanden diese fünfmal auf dem Gelände des ADL statt und dauerten auch immer gleich zwei Tage lang, was mich sehr beeindruckt hat.

Mein Alltag in Brasilien

Da ich in meiner Einsatzstelle wohne, verbringe ich die meiste Zeit auf dem Gelände des
ADL. Der Tag beginnt um 6:55 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück, wobei ich schon ein
bisschen eine Semmel wie zu Hause vermisse. Hier gibt es meistens nur Brot und sehr viel
Kaffee.Danach beginnt der Unterricht in den Kursen, an denen ich teilnehmen oder
anderweitig im ADL helfen kann. Ab 10:30 Uhr gibt es hier eine Stunde, in der alles
gemeinsam von allen geputzt wird und danach gibt es schon Mittagessen. Es gibt immer
Bohnen und Reis und dazu Salat und sehr viel Fleisch. Am Nachmittag kommen dann die
jüngeren Kinder aus der Schule und es wird viel musiziert und natürlich Fußball gespielt. Am
Abend erledigen dann die meisten Schüler*innen ihre Hausaufgaben und ab 21:30 Uhr sind
dann alle in ihren Zimmern und es beginnt die Nachtruhe.

Der „Quadra“ von Serra Pelada

Ich habe auch schon eine kleine Gruppe Deutsch-Schüler*innen, denen ich am
Montagabend ein bisschen Deutschunterricht gebe. Am Mittwoch gehen alle zusammen
zum Fußballspielen. Dort habe ich auch die andern Jugendlichen aus dem Dorf
kennengelernt und inzwischen kann ich, glaube ich, sagen, dass ich die meisten Einwohner
hier in Serra Pelada kenne.

Obwohl Serra Pelada ein sehr kleines Dorf ist (ca. 500 Einwohner), gibt es hier sehr viele
Läden und alles, was man zum Leben braucht. Es gibt zwei Supermärkte, zwei Bäckereien,
einen Friseur, einen Burgerladen (hier Lanches genannt), einen Açai-Laden (Eis aus der
Açai-Beere, welches mit verschiedene Topings gegessen wird), eine Schule und sogar ein
Gym. Die nächste Kleinstadt ist etwa 15 Minuten mit dem Bus entfernt. Allerdings fährt
dieser nur dreimal am Tag und um 15 Uhr fährt schon der letzte Bus zurück nach Serra
Pelada.

Espírito Santo ist eine sehr bergige Region und es gibt sehr viele schöne Täler mit kleinen
Bächen, Wasserfällen und sehr vielen Bananen- und Kaffeeplantagen. Es ist eine richtige
Bilderbuch-Tropenlandschaft für mich. Das Wahrzeichen von Serra Pelada sind die Três
Pontões, eine markante Felsformation am südlichen Dorfrand, welche man am besten vom
Fußballplatz aus sieht. Der Dorfverein SC Lagoense ist der ganze Stolz der Dorfbewohner
und an den Spieltagen trägt das ganze Dorf Trikots des Vereins.

Der Bundesstaat Espírito Santo gehört zu den kleinsten in Brasilien und liegt im Südosten an
der Küste. Die Menschen hier werden „capixabas“ gennant, was der Name der Ureinwohner für diese Region ist. Besonders in den Sommerferien im Januar kommen sehr viele Touristen an die vielen Strände, um das gute Wetter zu genießen. Hier herrscht tropisches Klima und es ist das ganze Jahr sehr warm (mind. 25 Grad). Ich war auch schon mit den anderen Mitarbeiter*innen des ADLs an einem der vielen Strände und konnte die brasilianische Badekultur kennenlernen. Es gab immer sehr viel Essen am Strand, welches an kleinen Ständen verkauft wurde und obwohl viele Menschen hier nicht schwimmen können, gehen alle in das ziemlich kalte Wasser.

Die Hauptstadt von Espírito Santo Vitória

So könnte ich noch ewig von zum Beispiel den brasilianischen Weihnachtstraditionen weitererzählen, aber es fehlt noch jemand zum Fußballspielen und da kann ich die anderen nicht warten lassen. Darüber werde ich dann also im nächsten Blog schreiben.

Abraços aus Brasilien

Moritz

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