„Und…wie war´s?“

Wie du garantiert mitbekommen hast, bin ich genauso wie alle anderen Freiwilligen seit Ende März zurück in Deutschland. Dass es emotional absolut schwer zu ertragen ist, sich nicht von den Freund/innen, meinen Schüler/innen, den Orten verabschieden zu können, ist dabei wohl offen ersichtlich. Pläne, die ich mir damals für die nächste Woche machte oder auch ganze Urlaubsziele, die wir uns extra erst im April vornahmen, fielen abrupt ins Wasser. Der letzte Schul- und Kirchenbesuch war unbewusst und von fast niemandem konnte ich mich richtig verabschieden aufgrund der Selbstisolation, in die plötzlich inoffiziell unser ganzes Dorf ging. Ein paar wenige kamen uns trotzdem besuchen. Jedoch war dort noch alles so unklar, dass ich dafür leider gar keinen Kopf hatte und realisieren konnte ich das Ganze (wenn überhaupt) erst in meinem Zimmer in Deutschland.

Von der psychisch und physisch anstrengenden Reise von unserer Insel mit einem Lockdown auf den Philippinen, Sonderflügen, einem Charterflug der Lufthansa und ganz vielen lieben Mitarbeiter/innen der deutschen Botschaft, sowie auch den Filipino vor Ort, möchte ich gar nicht erzählen, da es viel zu ausführlich wäre. Hier nur ein paar Stichpunkte: kräftezehrend, müde, Ungewissheit, viele Tränen, Überforderung, Verzweiflung. Und trotz allem: Dankbarkeit. Es ist nicht selbstverständlich, über so spezielle Wege nach Hause zu kommen und war garantiert für viele Beteiligte ebenfalls schwer zu ertragen.

Nun ja, wie bereits gesagt, soll das Augenmerk gar nicht auf dem Rückflug, sondern viel mehr auf der Rückkehr liegen. Wie ist es, nach einer solchen Situation in Deutschland zu landen, wo gerade auch nichts wirklich nach Alltag aussieht? Wie ist es, in die Familie zurückzukehren, in der man über 7 Monate zumindest physisch gefehlt hat?

Irgendwie ist es komisch. Auch nach 4 Wochen ist es noch ungeklärt für mich. Es fühlt sich an, als hätte sich gar nichts verändert und zuhause in Deutschland hätte die Zeit still gestanden. Jeder Handgriff sitzt noch im Alltag, ganz so wie früher. Die Gesprächsthemen am Esstisch sind die gleichen und schnell verfällt man in alte Muster zurück. Jedoch hat sich trotzdem viel verändert. Sowohl man selbst als auch die Familie ist nicht mehr exakt dieselbe und irgendwie war ich anfangs fast traurig, wie wenig ich mich jetzt irgendwie doch verändert habe. Aber, habe ich mich denn überhaupt verändert?

Vor zwei Wochen habe ich bei der Videokonferenz in einer Kleingruppe mit anderen Freiwilligen auf eben diese Frage mit einer 4/5 geantwortet, was so viel hieß wie: Ja, ich habe mich total verändert. Aber irgendwie fange ich seit meiner Aussage immer mehr an, zu zweifeln und glaube, dass ich mittlerweile ein ansatzweise gutes Gleichnis dafür gefunden habe:

Der Beginn als Freiwilliger war es, aufgeregt und voller Vorfreude zu den Seminaren zu gehen, sich vorzubereiten und irgendwie war noch alles wie immer. Dies ist in meinem Gleichnis der Beginn einer langen Autofahrt. Eine Fahrt mit einem gebrauchten VW Golf 3 von Norden in Richtung Süden. Zu Beginn hat man alles vorbereitet (Lunchpakete, vielleicht ein Hörbuch, …). Zunächst ist man in bekannten Straßen und fährt auf der Landstraße zur Autobahn, noch ist alles wie in seiner eigenen Westentasche. Nun biegen wir aber auf die Autobahn und als junger Mensch ist dies womöglich die erste Autobahnfahrt und dann auch noch alleine und mit einem so alten Auto. Zu Beginn ist man also noch zaghaft und gewöhnt sich erst einmal an die Autobahn, schaut, wie andere Autos so fahren. Rapide fällt dir aber auf, dass du die Kilometer nur so herunterrast, viel schneller, jedoch auch sicherer fährst und ohne viel nachzudenken auch schon ein paar Autos überholt hast. Mittlerweile hast du Schilder von Orten gelesen, von denen du vielleicht schon einmal etwas gehört hast, aber noch nie dort gewesen und nun einfach ohne es zu bemerken, dran vorbei gefahren bist. Nun fällt dir so langsam auf, dass das Hörspiel, dass du extra vor der Fahrt schon in den CD-Player getan hast, doch nicht dein Fall ist und du viel lieber Musik hören würdest. Auch den liebevoll geschnittenen Apfel, den deine Mutter sogar extra geviertelt hast, isst du nicht, weil dir irgendwie nicht danach ist. Beim kurzen Blick auf den Beifahrersitz siehst du auf dem Handydisplay, wie deine Mutter Folgendes schreibt: „Naa, kommst du zurecht auf der Autobahn oder fährst du immer noch auf der rechten Spur? Trau dich auch mal was und überhol’…! P.S. Wie schmeckt der Apfel?“. “Auch wenn es lieb gemeint ist Mama, aber du hast ja keine Ahnung, wie normal es mittlerweile auf der Autobahn ist. Fast so, als würde ich hier schon seit Wochen fahren. Hm, ich antworte später auf der Raststätte mit „Ja, alles super Mami“ oder so.”, denke ich.

Nach noch ein paar weiteren unbeschwerten Stunden und einer kurzen Pause auf einem Rastplatz leuchtet plötzlich die Öllampe rot. Dabei ist dir das vorhin gar nicht aufgefallen, da es keinerlei bemerkte Probleme am Auto gab und auch jetzt verstehst du die Welt nicht mehr. Eben fuhrst du noch unbeschwert auf der Autobahn und plötzlich musst du anhalten. Zum Glück fährst du gerade genau an einer Abfahrt vorbei und hast somit die Möglichkeit, ohne viel zu Überlegen, schlagartig ran zufahren.

Nun stehst du also auf der Raststätte (= angekommen in Deutschland) und weißt gar nicht, was du tun sollst. Das kam alles so schnell und unerwartet.

Angekommen auf der Raststätte bleibst du erst einmal im Auto sitzen. Irgendwie möchtest du nicht aussteigen und das schnelle Gefühl der letzten Stunden missen. Aber trotzdem muss es ja weitergehen und somit akzeptierst du die Lage und steigst langsam aus. Du stehst einfach nur da, die Welt rast nicht mehr, sondern plötzlich steht alles still. Und dieser Rastplatz sieht auch noch genauso aus, wie der, den du von zuhause kennst. Als hättest du dich keinen Meter bewegt. „Na toll, alles doof.“, denkst du. Da du aber keinen Zeitdruck hast, setzt du dich erst einmal rein in den Rasthof und kaufst dir ein viel zu überteuertes Brötchen, um herunterzukommen. Engster Familie und Freund/innen schreibst du nur einen kurzen Satz dazu auf WhatsApp und direkt hagelt es Fragen, mit denen du dich gar nicht auseinandersetzen möchtest oder belanglose Ratschläge. Das lässt dir die Entscheidung, dein Handy beiseite zu legen, leicht fallen. Nach mehreren Minuten des nichts-tun stellst du dich der Realität, kaufst ein passendes Öl für dein Auto und füllst dieses auf. Irgendwie fällt dir jetzt auch auf, dass du ja wider erwarten deiner Vorstellung laut der Kilometeranzeige doch ziemlich viel Weg hinter dir hast und auch unter diesen abrupten Umständen bist du weit gekommen (= persönliche Entwicklung über die Reise hinweg). Du musstest keine andere Richtung einschlagen oder sogar wieder umdrehen (=sich nicht als Mensch komplett verändern). Nein, du musst nur im Moment eine Pause einlegen, zur Ruhe kommen und weißt durch das Radio, dass auf der Autobahn gleich ein langer Stau auf dich wartet (= aktuelle globale Situation aufgrund des Virus). Egal, wie voll dein Tank ist oder wie sich deine Fahrweise über die Zeit optimiert hat, es bringt dir gerade nichts. Im Moment kannst du nur stolz darauf sein, was du bisher geleistet hast. Und in ein paar Stunden, wenn die Fahrbahn frei ist und Normalität herrscht, dann kannst du deinen Plänen nachkommen und „profitierst“ von deinen bisherigen Fahrkenntissen der ersten Autobahnfahrt, auf die du dich ganz alleine begeben hast. Familie und Freund/innen waren zwar live dabei, aber eben nur übers Handy.

Was will ich damit nun sagen? Auf der gesamten Reise kam vieles anders, als gedacht (Musik, Apfel). Irgendwie ging das, worüber man sich Sorgen gemacht hat, wie von selbst und man merkte immer mehr, wie schwierig es von außen ist, die eigene Situation zu verstehen. Und die Öllampe ist natürlich kein realistischer Vergleich dafür, dass man sein Leben der fast letzten 8 Monate aufgeben musste, verdeutlicht aber hoffentlich ansatzweise, wie es in der Gesamtsituation war. Die Raststätte soll für die Zeit stehen, in der man gerade neu Zuhause angekommen ist. Der Stau für das, in dem man sich momentan befindet und die freie Fahrbahn für alles zukünftige, was noch kommen mag.

Über die Zeit habe ich mich nicht komplett als Mensch verändert, aber vieles gelernt, was also doch irgendwie Auswirkungen hat.

In der ersten Woche zurück in der Heimat fühlte sich der gesamte Freiwilligendienst sehr unwirklich an. Es war, als sei ich nun aus einem Traum aufgewacht und alles ist nur noch in meiner Erinnerung, wird nie mehr so sein, wie früher. Alles was mir blieb, waren ein paar Erinnerungsstücke und die Fotos. Mittlerweile weiß ich, dass mir natürlich noch mehr bleibt als nur das. Es wird aber beispielsweise schwierig, den Kontakt zu Freund/innen halten zu können und ganz so bald sehe ich meine Schüler/innen nicht wieder.

Nun kommen wir aber zur aller wichtigsten Frage: „Und… wie war’s?“. Ob dies eine höflich gemeinte Frage zum Smalltalk oder doch ernst gemeint ist, sei mal dahin gestellt. Jedoch ist euch doch nun hoffentlich allen klar, dass es auf diese oberflächliche Fragestellung keine richtige Antwort gibt. Also, wenn es euch wirklich interessiert, dann stellt doch bitte bessere Fragen. Um aber mal mit Schlagwörtern zu antworten: holprig, voller Freude & Glücksgefühlen, unsicher, toll, lehrreich, einmalig, … Intensiv.

Ausnahmezustand

Früher als gedacht befinde ich mich nun wieder in Deutschland, der Grund dafür sollte mittlerweile jeder kennen, ohne dass ich ihn schreibe. Ich tue es trotzdem: Corona. Viele Menschen weltweit sind von dem Virus auf unterschiedlichste Weise beeinflusst, so auch meine Mitfreiwillige Leonie und ich. Während wir noch dachten, wir befänden uns in Sicherheit und gesagt haben „Ach hier ist alles prima, ihr braucht euch keine Sorgen machen“ erhielten wir eine E-Mail, die verkündete, unser Freiwilligendienst in Indien sei beendet. Mittlerweile bin ich froh und dankbar in Deutschland zu sein.

Unerwarteter Abschied

Nach der E-Mail folgte ein Anruf, welcher verkündete, wir würden innerhalb von drei Tagen das Land verlassen. Sofort haben wir unsere Freunde alarmiert und Treffen vereinbart, wir wollten jeden noch einmal persönlichen sehen! Ebenso sind wir direkt los gestratzt, um Kleinigkeiten für Familie und Freunde in Deutschland zu besorgen. Nach und nach haben wir dann auch unsere Koffer gepackt und die Wohnung gesäubert. Es ging schnell vorbei, war stressig und mental auch belastend. Dennoch, wir sind glücklich, denn obwohl alles sehr schnell ging, hatten wir die Chance uns von fast all denen zu verabschieden, die wir ins Herz geschlossen haben. Bis auf ein paar Ausnahmen: unsere Gastfamilie saß in ihrem Heimatdorf fest und unser Chef, Kasta Dip, ironischer weise in Deutschland, da er zuvor auf Berufsreise war. Für mich steht so oder so schon fest, dass es kein Abschied für immer ist, sondern ein Aufwiedersehen. Nach hektischen, emotional und auch irgendwie schönen letzten Tagen haben wir unsere Rückreise angetreten.

Das Abenteuer

Wenn ganz viele Leute alle gleichzeitig in ihr Heimatland zurückwollen, während eines Ausnahmezustandes, ist das ein bisschen wie Rubbellos. Wer schafft es bis zum Ziel, wer bleibt auf halber Strecke liegen und wer kommt gar nicht erst weg. Ich würde mal behaupten, wir haben das Rubbellos mit 50 Cent anstatt 1 € ergattert. Nach einigen Komplikationen haben wir es bis nach Delhi geschafft, wo wir enttäuschend feststellen mussten, dass unser Anschlussflug gestrichen wurde. Auch die folgenden Nachrichten, dass wir bis auf weiters in Delhi festsitzen, da alle Flüge nach Deutschland ausgebucht sind und in zwei Tage eine international Flugsperre verhängt wird, hat nicht sonderlich viel zum Aufschwung der Laune beigetragen. Weiter ging die Reihe der guten Nachrichten mit der Information, das sämtliche Hotels uns nicht aufnehmen wollten, aber bevor es zu dramatisch wird, erlöse ich euch: Alles gut, wir haben ein Hotel gefunden. In dem Wissen, das die deutsche Botschaft Rückholaktionen starten wird, haben wir fünf Tage lang in Hotels verweilt und die täglichen Updates des Botschafters Lindner verfolgt. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal meinen ganz persönlichen Dank der Deutschen Botschaft aussprechen, die wirklich eine super Arbeit geleistet hat! Vielen lieben Dank! Wieso? Das erfahrt ihr jetzt. Nach Tag fünf wurden wir freundlicher Weise aus dem Hotel geworfen, aber Glück im Unglück, es hat sich um den Tag unserer Abreise gehandelt. Da in Indien ein Versammlungsverbot aufgrund von Corona galt, sind um die 500 Deutsche mit Bussen zum Garten des Botschafters gebracht worden. Dort haben wir mehrere Stunden verweilt, bis wir nachts die Reise zum Flughafen und letztendlich die Heimreise angetreten haben. Die Deutsche Botschaft kümmert sich um mehrere tausend Gestrandete, veröffentlicht täglich auf mehreren Medienkanälen Videos und Informationen zur aktuellen Lage, passt sich kurzfristig an (wenn auf einmal 500 Deutsche auf der Straße sitzen) und schafft es in diesem ganzen Trubel, die Stimmung unten und entspannt zu halten, keine Panik , kein Aufbrausen. Hier natürlich auch nochmal Danke ans ZMÖ, vor allem Nadja, die sich jeden Tag mehrmals gemeldet hat, um zu hören wie es uns geht und unsere Seelsorge war.

Bin ich hier richtig?

Der Abschied von Indien war vom Gefühl her, der Moment, in dem wir Nagpur verlassen haben. Die fünf Tage in Delhi, waren wir bereits nur von Deutschen umgeben und haben in Hotels mit westlichen Standards gelebt, sodass ich viele Dinge, von denen ich dachte, ich würde sie das erste Mal wieder in Deutschland machen, schon dort getan habe: die warme Dusche zum Beispiel. Außerdem hatten Leonie und ich keine Geheimsprache (Deutsch) mehr, da jeder um uns rum, alles verstand, von dem was wir sprachen. Komisch ist das Wort, die diese Zeit am besten beschreibt.

Zuhause angekommen ging es leider komisch weiter. Nach 7 – 8 Monaten das erste Mal seine Familie wieder zu sehen und sie nicht zu umarmen, ist komisch (Zuhause haben wir uns dann doch umarmt, hab natürlich vorher Hände gewaschen;) ). Seine Freunde nicht zu sehen, keinen Alltag zu haben und bei der Tagesschau zu sehen, es wurde die Kategorie „Was sonst so passiert“ eröffnet, das alles ist komisch. Es ist komisch, in seine Heimat zurück zu kommen, aber alles was du mit Heimat verbindest, liegt flach. Ich wusste zwar nicht so ganz wie ich mich fühlen sollte, aber es war sicherlich neben komisch eine Mischung aus Wut, Trauer, Freude… Ein bisschen von jedem. Man schwimmt einfach mit und tut das, was alle tun: sich beschäftigt halten und nicht in einen Trott verfallen.

Während den letzten 3 Wochen verfolge ich auch noch aktiv die Lage in Indien. Mittlerweile ist ein kompletter Shutdown ausgerufen worden, da versucht wird die Ausbreitung des Virus zu verhindern. In einem Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern, großen Städten mit hoher Bevölkerungsdichte, ist Social Distancing jedoch schwer und der Virus bahnt sich seinen Weg. Die Menschen haben Angst, verständlich. Jedoch nicht nur vor dem Virus, sondern vor Ausländern. Noch während ich in Indien war, wurde uns Corona hinterhergerufen, Kinder von uns weggezogen oder direkt kehrt gemacht, wenn man uns erblickt hat. Ich kann es keinem verübeln, der Virus kam von außen und keiner weiß, dass wir schon 7 Monate in Indien sind. Wenn man dann jedoch Geschichten hört, wo andere Touristen mit Steinen beworfen worden, ist man mehr als froh, sich wieder in Deutschland zu befinden.

Während dieser Zeit, dieser komischen Zeit, ist mir eines noch einmal besonders bewusst geworden:  was ein Privileg es ist, Deutsche zu sein. Es ist nicht selbstverständlich, dass deine Regierung dich zurückholt, wenn du gestrandet bist. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass du in Zeiten von Corona, die Wahl hast, was du mit deiner Zeit machst, es ist ein Privileg, dass ich mich im Moment damit beschäftigen kann, ein Bilderbuch zu machen. Andere haben mit ganz anderen Sorgen zu kämpfen. Und ich mich bin mir darüber sehr bewusst.