Hey, ich bin jetzt seit dem 4. September 2024 in Ägypten. Die Einsatzstelle zeichnet sich dadurch aus, dass man eher mit Erwachsenen – nicht unbedingt mit Kindern zusammenarbeitet. Meine Aufgaben hier sind gar nicht so leicht zu beschreiben, da es ganz bei dir liegt, was du machen willst. Ich arbeite z.B. auf dem Feld, aber dazu später mehr.
Anaphora kann man sich wie ein Dorf vorstellen, das gleichzeitig eine ganz eigene Welt ist. (Für weitere Bilder schaut auf meinem Freiwilligenaccount bei Instagram @victor.in.the.oasis, dort erzähle ich auch von meinem Alltag.) Das entscheidende hier ist, dass du hier gefragt wirst, wo du arbeiten möchtest. Du kannst dich aber auch durchprobieren.
mein Alltag
Morgens stehe ich um 7:00 Uhr auf trinke einen Kaffee und gehe direkt aufs Feld. Dort arbeite ich bis zum Mittag, esse kurz und arbeite meistens bis zum Abendessen 18:00 Uhr durch. Danach ruhe ich mich aus bis 20.30 Uhr, weil dann die Nachtschicht beginnt. Die geht ca. bis 22:00 Uhr. Dann kann ich eigentlich nur noch schlafen. Das geht so sechs Tage die Woche. Dies klingt nun erstmals nicht unbedingt spannend, doch ich könnte mir nichts Spannenderes vorstellen und ich bin keine Person, die nicht weiß wie man Spaß haben kann. In Deutschland habe ich in Hamburg gelebt und schon mit 16 meine Wochenenden auf dem Kiez verbracht. Auch war ich eher arbeitsscheu. Ich hatte nie einen normalen Schülerjob, da ich mir nicht vorstellen konnte, meine Zeit damit zu verschwenden, meine kostbare Zeit in der Gastronomie oder im Einzelhandel zu verschenken. Doch wie kommt es dann, dass ich jetzt der bin, der nach dem Mittagessen wieder der erste auf dem Feld ist und es einfach nicht abwarten kann zu sehen, was das Feld an diesem Tag zu bieten hat?
Auf die Frage weiß ich noch keine Antwort, doch was ich sagen kann ist, dass du mit Sicherheit auch so denken wirst, wenn du mit der richtigen Einstellung nach Anaphora kommst. Wie du diese Einstellung bekommst, ist meiner Erfahrung nach, wenn du zwei Dinge weißt: Zum einem, dass du in Anaphora keine Grenzen hast, dich einzubringen: du musst einfach Initiative zeigen, dich etablieren und out of the Box denken. Als Beispiel gibt es in Anaphora ein Community College, dort Englisch Unterricht zu geben, schlägt dir keiner vor, dafür musst du die richtigen Leute kennen lernen und deine Hilfe anbieten.
Wochenende
Hier habe ich eine Sechs-Tage-Woche, deshalb habe ich nur am Sonntag frei, doch ich kann nur empfehlen, diesen zu nutzen, um in andere Städte zu fahren. Dort lassen sich Bekanntschaften knüpfen, mit denen man etwas unternehmen kann. Ich war letzten Sonntag allein in Alexandria, dort kannte ich noch niemanden, aber es hat gut getan mal wieder die Großstadt zu sehen. Teuer war der Ausflug nicht, ich bin am Samstagabend nach der Arbeit losgefahren mit einem Fahrer von Uber. Ich habe 6$ für ein Hotel und 12$ für die Hin- und Rückfahrt gezahlt. Eigentlich wollte ich nach langer Zeit mal wieder feiern gehen, doch als ich da war, hatte ich gemerkt, dass ich gar kein Interesse daran hatte. – Ägypten hat mich wirklich verändert.
die Anfänge
Die ersten zwei Wochen hatten wir einen Sprachkurs in Kairo gemacht. Der war wichtig, um das Land zu verstehen und Leute kennenzulernen, deshalb kann ich nur empfehlen, diese Zeit zu nutzen.
Danach sind wir das Wochenende nach Hurghada gefahren, um das Rote Meer zu genießen. Dann hatten wir die nächsten zwei Wochen keine feste Arbeit in Anaphora, sondern hatten geschaut, wo wir helfen konnten. Wir hatten in der Anfangszeit einen zwölfjährigen Chef. Zu der Zeit hatten wir nicht mal halb so viel gearbeitet wie jetzt. Das kam erst, als wir uns für unsere Berufe entschieden hatten. Wir können unsere Tätigkeiten nach einem Monat wechseln. Die Leute auf dem Feld arbeiten noch mit am meisten. Es arbeitet auch nicht jeder so viel. Hier sind auch manchmal andere Freiwillige meistens aus Schweden, die oftmals nur ein paar Stunden am Tag arbeiten.
auf dem Feld
Zuerst hatte ich nur Unkraut gepflückt, doch nach einer Woche stand eine Großaktion an, wo alle Feldarbeiter auf einem Feld gearbeitet hatten. Da war denke ich der Moment, an dem ich mich beweisen konnte, denn danach wurde mir ein eigenes Feld zugeteilt, welches ich innerhalb von drei Tagen fertigstellen sollte. In dieser Zeit geriet ich in eine Art meditativen Zustand wodurch ich aufhörte, mich mit Leuten zu unterhalten. Ich sprach nicht einmal mit meinem Mitfreiwilligen (obwohl wir sehr gute Freunde geworden sind), doch als ich das Feld fertig bearbeitet hatte, fühlte ich mich wie ein Schmetterling, der aus einem Kokon ausbrach und ich sprach wieder mit den Leuten, nur fühle ich mich seitdem anders. Ich denke ich brauchte die Zeit mit mir selbst. Jetzt arbeite ich mit zwei Leuten auf einem Feld. Beide sprechen kein Englisch aber meistens braucht man kaum Worte, um einander zu verstehen. Mit denen habe ich Spaß, auch wenn ihre Art von Spaß manchmal darin besteht, sich gegenseitig zu beleidigen und mit Steinen zu bewerfen. Was auf dem Feld auch verbindet, ist das Teilen von Wasser, da es immer einen gibt, der seine Flasche entweder vergessen hat oder sie schon ausgetrunken hat. (Kleiner Tipp, wer zwei Flaschen mitbringt, ist der Beliebteste.)
Ich denke man merkt, dass ich mich ein wenig in das Feld verliebt habe, aber was ich damit sagen will ist, dass man sich in Anaphora etablieren muss. Wenn man hart und viel arbeitet gehört, man dazu und wird geschätzt, respektiert und was das Wichtigste ist: auf Augenhöhe behandelt anstatt zimperlich.
jeder Tag ist anders
Abschließend möchte ich dir noch auf den Weg geben, dass ich mein Leben jeden Tag anders beschreiben würde, da jeder Tag ein anderes Gefühl in mir entflammen lässt. Und was das Vermissen meines Lebens in Deutschlang angeht, das tu ich meistens nicht. Nur selten vermisse ich einzelne Dinge, dies hält aber nie länger als ein paar Stunden an. Doch ich denke, da ist jeder Mensch anders. Auch die Menschen in Anaphora sind unglaublich nett und sprechen dich an. Man unterhält sich jeden Tag mit jemand anderem.
Nach dem neuen Blog gestern kommt heute noch ein weiterer, der sich um das Thema “Rückkehr” dreht. In meinem Fall und im Fall der anderen Freiwilligen eine sehr abrupte und unfreiwillige Rückkehr. Ich möchte halbwegs chronologisch vorgehen und über die letzten Wochen hinweg einmal beschreiben, was dieser Begriff eigentlich im Detail für mich bedeutet hat und jetzt bedeutet.
Bis Mitte März, als Corona richtig anfing abzudrehen, hätte ich niemals gedacht, dass mein Freiwilligendienst plötzlich enden könnte. Ja klar, irgendwie hätte ja irgendwas sein können, dass ich in Deutschland gesundheitlich behandelt werden muss oder dass jemand aus der Familie stirbt und ich zur Beerdigung gehen würde, aber so wirklich hab ich mit sowas natürlich nicht gerechnet. Wenn ich in der Zeit an den Begriff Rückkehr gedacht habe, so hab ich mich im Juli am Flughafen gesehen, nach Wochen, in denen ich mich von jedem und allem verabschieden konnte. Ich wäre mit William noch viel gereist, hätte noch viel mehr Arabisch gelernt und ich hätte sogar schon Pläne gehabt, im September einen der Welpen von unserer Hündin nach Deutschland zu holen. Mein Studienplatz wäre im Prinzip sicher und im Idealfall hätte ich schon ein WG oder Wohnheim-Zimmer. Rückkehr war kein Trauriger Begriff, sondern eher ein leicht Melancholischer. Und ein Ferner, denn bis Juli ist ja noch echt viel Zeit. Außerdem wäre es eine Rückkehr in eine Gewissheit, denn aus dem Ausland heraus hätte ich die Zeit bis Dezember eigentlich schon voll durchgeplant. Ich hätte einen Plan, den ich selber ganz frei gewählt hätte.
Dann kam eine Mail, als William und ich gerade bei den Hunden waren und da (wie jeden Tag) unsere Zeit vertrödelten. “Beendigung Freiwilligendienst” stand im Titel. Und so veränderte sich für mich fast alles, unter anderem der Begriff “Rückkehr”. Es klingt komisch, aber von einem Moment auf den anderen wurde aus dem melancholischen Begriff ein Bedrohlicher. Eine Tatsache, die alles was ich mir aufgebaut und was ich erreicht hatte, qualvoll ersticken würde. “Ich kann jetzt gar nicht nach Hause, das geht doch gar nicht”, war meine erste Reaktion. Es war als würde mein Leben hier jetzt enden und als würde ich in eine alte Form zurück gepresst. Und gleichzeitig bekam ich Angst bei dem Gedanken an ein halbes Jahr herumsitzen und warten. Ohne Freunde in meiner Nähe und ohne irgendeine Planbarkeit. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Pläne und Struktur liebe und dass jetzt ein Virus meine Pläne zerstören würde, das hat mich echt wild gemacht.
Gleichzeitig habe ich etwas erlebt, was wahrscheinlich den meisten im Jahrgang auch so ging, und zwar Schuldgefühle, weil ich mich nicht auf Deutschland gefreut habe. Eigentlich hätte ich mich doch total freuen sollen, wieder (im deutschen) zuhause zu sein und meine Familie wieder um mich zu haben. Um es aber ganz ehrlich zu sagen, ich hatte echt überhaupt keine Lust, wieder diesen Schritt zurück zu machen. Diesen Schritt zurück nach Deutschland. Denn so fühlte und fühlt es sich auch an. Wäre ich direkt nach dem Auslandsjahr zur Uni gegangen, hätte ich das Gefühl, weiterzugehen, aufzubrechen zu etwas Neuem, die “Reise” wäre weitergegangen. Und jetzt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, dass es voran geht. Aber sowas kann sich unglaublich schnell ändern, sei es auch nur durch eine einzige Mail.
Jetzt kann ich auf all das zurückblicken und deshalb hat sich meine Auffassung von “Rückkehr” wieder verändert. Einige Facetten sind hinzugekommen und andere Dinge haben sich nicht bewahrheitet. Eins nach dem anderen:
Eine Liste von Dingen, die hier selbstverständlich sind, die mir aber vor Ägypten nie aufgefallen sind: Wie sauber alles ist, wie unglaublich leise die meisten Autos sind (es gibt auch leise Autos in Ägypten, keine Frage, aber man kann sich im Kairoer Straßenlärm bestimmt nicht im Auto atmen hören. In den Autos in Anafora muss man sich ungelogen anschreien), wie schön es eigentlich ist, auf einem Sofa zu sitzen, wie luxuriös ein Badezimmer sein kann und vor allem, wie viele Dinge man eigentlich so im Haus besitzt. Ich selber bin bestimmt kein Minimalist, geschweige denn Marie Kondo, aber ich habe mich echt erschrocken, als ich das erste Mal wieder unser Haus betreten habe und die schiere Anzahl an Gegenständen wahrgenommen habe. Ich will hier aber nicht verallgemeinern und sagen, dass ein minimalistischer Lebensstil typisch ägyptisch wäre, denn das ist er bei weitem nicht, aber er ist typisch für Anafora. So kommt mir ein Haus hier in Deutschland eher so vor als wäre es ein dekoratives Lager für allerhand Besitztümer. Auf der anderen Seite muss ich aber hinzufügen, dass ich davon natürlich sehr profitiere. Es ist praktisch, dass ich unglaublich viel Stauraum für Materielles habe (und es ist toll dass ich mit 18 Jahren so viel Materielles besitze). Trotzdem ist diese Form des Wohnens nicht die einzige Option, die es gibt.
Aber zurück zum Begriff “Rückkehr”: Ich hatte mir schon lange gedacht, dass es bestimmt schwer wird, zu erklären, was ich in Ägypten alles erlebt habe, weil ja sonst keiner dabei war, abgesehen von William. Es war mir aber nicht klar wie schwer ist es. Besonders weil ich natürlich großräumige Verallgemeinerungen so gut es geht vermeiden will, weil das meistens sehr einseitig, schlichtweg falsch oder rassistisch endet. Wenn ich es dann aber komplexer halten will, wird es schwer, weil ja auch ich nicht die “ganze Wahrheit” kenne. Auch mir ist die ganze Komplexität und zum Teil Widersprüchlichkeit der ägyptischen Gesellschaft nicht bewusst. Ich kann nur von meiner koptischen Blase berichten, die ich in einem begrenzten Zeitraum erlebt habe. Und das alles ist dann eingefärbt von der Perspektive eines wohlhabenden, gebildeten, männlichen, weißen Deutschen, der im Ausland für einen Ostasiaten gehalten wird. Man sieht: Es ist echt schwer. Dazu kommt, dass mich selber immer noch Dinge verwirren, die ich erlebt habe. Mal sehen, wann ich mir überhaupt selber meine Freiwilligendienst erklärt habe.
Auf der anderen Seite habe ich aber nicht nur verwirrende Fragen mitgebracht, sondern auch Haltungen, die für mich so klar sind, wie noch nie. Dazu gehört mein Schock, wie in Deutschland mit den Themen Armut und Entwicklungspolitik gearbeitet wird. Denn, so kommt es mir persönlich vor, diese beiden Punkte sind nie echte Themen, sondern manchmal, wenn es sonst nichts Spannendes in den Nachrichten zu sagen gibt, lasche Referenzwerte, um dem Gutbürger vorm Abendbrot einmal zu zeigen, dass es uns Deutschen echt gut geht. “Oha, das in Afrika mit der Armut und so, das ist echt schlimm, ja. Schon irgendwie Sünde”. Aber egal, wie viele Kinder in griechischen Flüchtlingslagern in HD-Auflösung über den Fernseher ziehen, ein voller Kühlschrank in der Küche tröstet drüber hinweg. Spätestens wenn die Glotze aus ist, sind “Afrika” und “Entwicklungsländer” nur formbare Beispiele in Diskussionen, immer so, wie es gerade passt.
Und dann kommen Berichte, wie schlimm es in der dritten Welt mit Corona wird. Dann sieht man engagierte Frauen und Männer im Slum, wie sie den Menschen beibringen, wie man richtig Hände wäscht. Außerdem sollen die Leute Social distancing betreiben, was natürlich einer Familie super leichtfällt, die jede Nacht in einem einzigen Raum verbringen muss, der gleichzeitig die Küche ist. Dass Corona dort nur eine unter unzähligen Krankheiten und Sorgen ist, die diese Menschen betreffen, wird beflissentlich verschwiegen. Begriffe, wie AIDS, Drogenkonsum ab Kindesalter, Ebola, Gelbfieber, Tuberkulose oder Cholera, zu denen Corona nur eine Ergänzung auf der Liste ist, finden keinen Anklang. Denn Corona betrifft auch uns im Westen, deswegen wird berichtet. Hätten wir die anderen genannten Punkte auch in einem bedeutenden Maße in Deutschland, so sähen die Berichte ganz bestimmt anders aus. Zusammengefasst ist mir einfach klar geworden, wie gut der Westen darin ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen und dabei den Rest der Welt zu ignorieren.
Aber, und das ist mir wichtig zu sagen, ich selber habe keinen einzigen Tag meines Lebens in einem Slum verbracht, geschweige denn mich mit Menschen aus diesen Verhältnissen unterhalten. Deswegen sehe ich mich nicht als Sprachrohr der Armut und möchte mich jetzt auch nicht als ein solches darstellen! Ich will nur die Bereitschaft vermitteln, diesen Sprachrohen, von denen es viele gibt, Aufmerksamkeit zu schenken. Ich möchte diese Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken. Vielmehr will ich, dass ihr, liebe Blogleserinnen und Blogleser, nicht nur meinen Geschichten zuhört, sondern den Geschichten der Menschen, die wirklich eine Botschaft haben.
So, jetzt bin ich doch vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen, aber ich hoffe, dass dies eine gelungene Zusammenfassung der letzten Wochen ist. Rückkehr ist eben ein sehr vielseitiger Begriff und meint für jeden und jede etwas anderes. Außerdem ist Rückkehr ein Prozess, der mich noch lange begleiten wird. Ich bin gespannt auf die nächste Zeit und wie sich jetzt alles entwickeln wird.
Erster Tag des Monats Hathor, 1736, 15:10 in Anaphora
Salam meine lieben Blogleser,
im letzten Blog habe ich ja schon erwähnt, dass ich gut mal über die Landwirtschaft in Anaphora schreiben könnte. Deshalb soll sich dieser Blog auch ganz um das Thema drehen. Mit der Landwirtschaft in Kontakt gekommen bin ich natürlich schon in meiner Kindheit, sodass mir die Arbeit hier nicht ganz fremd ist, doch gibt es trotzdem einige Dinge, die mir ungewöhnlich vorkamen. Aber eins nach dem anderen.
In den letzten Wochen haben wir begonnen, die Felder in
Anaphora für die Saat vorzubereiten, bzw. die eingesäten Keimlinge von Unkraut
zu befreien. Dies findet hier im Oktober und November statt, weil der Winter
komplett ausreichende Temperaturen für die Aufzucht von Gemüse und Getreide hat
und all dies im Sommer vertrocknen würde. Eigentlich total logisch, doch
ungewohnt für mich, da wir in Deutschland ja nicht auf den Winter, sondern
vielmehr auf den Sommer angewiesen sind, damit die Pflanzen perfekt wachsen
können.
Die erste Pflanze, mit der wir gearbeitet haben, war Knoblauch, den William und ich in friemeliger Handarbeit so auseinander genommen haben, dass die Arbeiter die einzelnen Zehen einpflanzen konnten. Tatsächlich haben wir fast zwei Wochen im Schatten von Dattelpalmen oder Birnenbäumen damit verbracht, unzählige, riesige Säcke von Knoblauch zu zerteilen bis eine Fläche von grob geschätzt 0,5 km² bepflanzt war. Das ist tatsächlich eine extrem große Menge, aber immerhin muss der Knoblauch lange halten, da er im Vergleich zu anderen Lebensmitteln recht teuer ist, sodass Anaphora ihn ungerne das ganze Jahr über einkaufen will. Außerdem ist es schwer zu sagen, wie viel der Fläche tatsächlich nur Knoblauch ist, da die Felder immer mehrere Früchte erzeugen. Auf den Knoblauchfeldern, sowie bei den Auberginen, stehen zwischen den Reihen auch Obstbäume, wie Birnen oder Guave, die man in Deutschland teilweise in Säften findet. Als Frucht habe ich sie aber vorher noch nicht gesehen. Rein optisch und geschmacklich erinnert sie an eine überreife Birne, die super harte Kerne hat, welche man aber mitessen kann. Zudem stehen auf vielen Feldern Moringabäume – die reinsten Wunderbäume wenn man so will.
Was ich schon über Moringa wusste, war, dass das irgendeine Pflanze ist, die in manchen Kräutertees beigemischt wird. Allerdings gibt es noch einiges mehr zu wissen: Der Moringa- oder auch Meerrettichbaum stammt aus Ostafrika, ist aber auch in Indien beheimatet (Grüße gehen raus an alle Indien- und Tansaniafreiwilligen). Zudem wird er auch in Mittelamerika und Westafrika angepflanzt, da seine Früchte der Mangelernährung vieler Menschen, sowie der Entwaldung entgegenwirken können. Die bis zu 90cm langen Schoten, die aussehen wie kantige, überdimensionale Gurken, können gekocht oder roh gegessen werden, allerdings sind sie ziemlich säuerlich-bitter. Im Prinzip sind sie von der Zubereitung her wie Bohnen. Nur halt Bohnen, die fast einen Meter lang sind. Moringa hat auch den Vorteil, dass die Schoten schon einen Monat nach der Blüte reif sind. Zudem kann man den Saft der jungen Blätter verwenden, um die Auswirkungen von Mangelernährung, Anämie und Diabetes Typ 2 sehr billig und gleichzeitig wirksam zu behandeln. Dies funktioniert auch bei Menschen, die chemische Substanzbehandlungen, bzw. Medikamente nicht vertragen. Aus den Samen kann ein Öl gewonnen werden, welches als eines der stabilsten Pflanzenöle gilt, da es erst nach vielen Jahren schlecht wird. Zudem kann man es zu Biodiesel weiterverarbeiten. Die Samen können zu Pulver zerrieben Wasser reinigen, welches von Schwebstoffen und Bakterien verschmutzt ist, wie zum Beispiel Wasser aus dreckigen Flüssen oder Seen. Ein großes Fass kann mit 200 bis 300 mg des Pulvers so gereinigt werden, dass es für Menschen unbedenklich ist. Dafür muss man nur das Pulver hinzufügen und 15 bis 20 Minuten rühren. Dank der hohen Oberfläche der Samenpartikel wird jeglicher Schmutz etc. daran gebunden und sinkt zu Boden. Besonders dieser Effekt kann einen gravierenden Unterschied in der Wasserversorgung von Menschen machen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Billiger und natürlicher geht es wahrscheinlich nicht. Gleichzeitig sind diese Bäume sehr anspruchslos gegenüber der Bodenqualität und kommen auch mit wenig Wasser aus. Zum Glück haben wir hier ein gutes Bewässerungssystem und zwischen den Pflanzreihen auch immer eine Mulch-Reihe, wo das Unkraut aus der Pflanzreihe zu Kompost wird. Auf diese Weise ist die Landwirtschaft sogar am Rand der Wüste ziemlich ertragreich.
Allerdings ist diese Form der nachhaltigen Landwirtschaft kein Beispiel für ganz Ägypten. Ein ganz großes Thema hier ist die Wüstenbildung, weil die kargen Böden über Jahre hinweg mit Monokulturen von Weizen oder Mais ausgelaugt werden. So werden sie langfristig zu unbrauchbaren Geröllhalden, die wir jedes Mal sehen können, wenn wir nach Kairo fahren. Teilweise gibt es grüne Flecken, wie Anaphora, aber ein Großteil der Flächen wird nur gefüllt von verdorrten Palmenstüpfen und halb abgerissenen Farmen. Denn hier wächst nichts mehr und die Menschen, die einst ihre Felder hier hatten, mussten diese aufgeben. Wo es dagegen grün ist, werden oftmals harte Pestizide und Dünger eingesetzt, um die Erträge künstlich hoch zu halten. Gesund oder nachhaltig ist das aber selbstverständlich nicht. Bestimmt sieht das ganze direkt am Nil noch etwas anders aus, aber in diesen Regionen war ich leider noch nicht.
Das zweite Problem ist die Versalzung. Das Grundwasser in dieser Region (Wadi al natrun = Natrontal) ist von Natur aus recht salzig, bzw. mineralstoffreich. Wird damit auch noch künstlich bewässert, kann das schwere Folgen haben. Insgesamt sind 20% der gesamten landwirtschaftlichen Flächen weltweit von Versalzug bedroht und ungefähr 50% aller Künstlich Bewässerten. In Ägypten alleine sind aufgrund dieses Problems schon 30-40% aller Flächen verloren gegangen, die eigentlich genutzt werden könnten. Dies passiert, wenn durch starke Bewässerung, Überflutungen oder starken Regen die Salze aus dem Boden gelöst werden und mit dem verdunstenden Wasser an die Oberfläche kommen. Wenn das Wasser dann verdunstet ist, bleibt nur das Salz übrig, wie bei einem verkalkenden Wasserkocher oder wie in meinem Badezimmer gerade… Dieses Salz ist dann, man kann es sich gut vorstellen, schädlich für die Pflanzen, verringert die Erträge und führt anschließend zum Tod des Feldes. Ohne aufwändige und teure Maßnahmen ist diese Fläche für immer verloren. Gleichzeitig ist Ägypten auf die Landwirtschaft angewiesen, da die Bevölkerung rasant wächst. Schon jetzt müssen 50% des Weizens importiert werden, der praktisch das einzige Getreide ist. Gibt es Probleme auf dem globalen Weizenmarkt oder starke Preisschwankungen, wird Ägypten unmittelbar betroffen sein. 1977 und 2008 kam es zu ernsthaften Problemen, als Weizen und Reis rapide im Preis stiegen, sodass sich große Teile der Bevölkerung diese Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten konnten. Wenn ich besser informiert bin, erkläre ich dieses Thema auch gerne mal in einem späteren Blog.
Aber zurück zur Landwirtschaft: Eine Methode, um diese Versalzung zu verlangsamen, ist eine schonende Bewässerung, wie die Tröpfchenbewässerung, die wir auch hier anwenden. Aus dünnen Schläuchen mit kleinen Löchern tröpfelt langsam das Wasser an die Pflanzen unmittelbar neben ihnen. Der einzige Nachteil ist hier nur, dass jede Pflanze direkt neben den Schlauch gesetzt werden muss. Eine Arbeit die viel länger dauert als einfach die Saat zu verstreuen, wie wir es mit unserem Weizen machen. Deswegen gibt es auf diesen Feldern ausnahmsweise Sprinkleranlagen, welche im Sinne der Versalzung zwar nicht optimal, aber natürlich sehr praktisch sind.
Kleine Story am Rande: Letzens haben die Sprinkler aber nicht funktioniert, weil jemand mit dem Trecker über die Wasserleitungen gefahren ist, die nur wenige Zentimeter unter der Erde verlegt sind. Die gebrochenen Stücke mussten also herausgesägt und durch neue ersetzt werden.
Aber es gibt noch weitere Methoden, um mit der Versalzung umzugehen: Die passenden Pflanzen finden. Während Gemüse und einjährige Pflanzen sehr salz- und feuchtigkeitsempfindlich sind, weisen andere Pflanzen eine hohe Toleranz dem gegenüber auf: Zum Beispiel das oben erklärte Moringa oder die schachtelhalmblättrige Kasuarine (ja, die gibt es wirklich). Dieser Baum ist in Ägypten nicht heimisch, sondern in Südostasien (jetzt gehen Grüße raus an die Philippinen und Papua Neuguinea), wo er an Stränden im salzigen und sandigen Boden wächst. Hier dient er als Knick und als Schattenspender auf Wegen. Auch Orangen- und Mangobäume besitzen wir in großen Mengen und sie wachsen ohne Probleme. Nur die Feigenbäume tun sich etwas schwer mit den Böden. Weitere geeignete Pflanzen sind Hibiskus, dessen Früchte man super zu Marmelade oder Saft verarbeiten kann, und Dattelpalmen.
Ganz vorne dabei sind aber selbstverständlich die Olivenbäume, ohne die Anaphora nicht existieren würde. Olivenbäume sind schon etwas sehr spezielles. Man weiß nämlich nie, wie viel sie tragen werden. Die letzten Jahre über war es schwer, eine Tonne Oliven zu erreichen, die wir brauchen, weil das Kloster, wo die Presse ist, nur Mengen über einer Tonne akzeptiert, oder die Oliven werden mit fremden gemischt, die aber nicht pestizidfrei angebaut werden. So könnte das Öl dann nicht als 100% bio und 100% Anaphora-echt verkauft werden. Um die Erträge zu steigern bekamen die Bäume deshalb 2016 einen starken Schnitt, der dieses Jahr spürbar wurde. Die geerntete Menge betrug nämlich mehr als 15 Tonnen. Eine Zahl die unglaublich fern von dem ist, was Anaphora jemals geerntet hat. Aus diesen 15 t können knapp 12 t bis 13 t Öl erzeugt werden, die zum größten Teil an andere Klöster verkauft werden oder hier Bestandteil von Cremes und Seifen sind. Und zum Kochen benutzen wir es natürlich auch. Nicht eingerechnet in diese Zahl sind die Oliven, die wir Anfang September geerntet haben. Diese wurden eingelegt, um sie entweder hier zu essen oder um sie ebenfalls zu verkaufen.
Williams und meine Arbeit beim Olivenernten bestand darin, die vollen Eimer von jedem Baum zum Anhänger zu bringen, auf dem sie in Säcke umgefüllt wurden. Die Säcke haben wir dann in einem großen Raum ausgekippt, wo die Oliven sortiert und gewaschen wurden, um sie anschließend zur Presse bringen zu können. Jeder Eimer wiegt zwischen 6 und 10 kg und jeder Sack um die 40 kg. Kein Wunder, dass wir nach zwei Wochen Ernte am Ende unserer Kräfte angelangt sind. Trotzdem war ich ein klein bisschen traurig, als wir plötzlich den letzten Baum vor uns hatten, da die Ernte ein sehr besonderes Erlebnis war. Man kann es sich so vorstellen, dass man durch einen jungen Wald geht, in dem Menschen über, hinter, in und auf Bäumen singen, lachen, übertrieben laut Musik abspielen, an der puren Menge an Oliven verzweifeln oder all das gleichzeitig machen. In den Pausen gibt es Tee (eigentlich ist es eine Art Tee-Sirup, der Menge an Zucker nach zu urteilen), der überm offenen Feuer zubereitet wird. Als Snacks haben wir verschiedene Kekse oder fake Kit-Kats, wie auch Fladenbrote, die nicht schlecht sind, wenn man sie kurz auf die Flammen legt. Außerdem brennt die Sonne ab 10 Uhr im Nacken. Vor zwei Wochen habe ich außerdem auch einen Rekord bei meiner Schrittzähler-App gebrochen, an dem Dienstag waren es 24491 Schritte, was ca. 18 km entspricht. Am Mittwoch danach waren es immerhin 24111 Schritte. Ja, das ist ziemlich anstrengend, aber die Oliven müssen so schnell es geht geerntet werden, weil sie während der Lagerzeiten viel Flüssigkeit verlieren, wegen derer wir sie ja ernten. Deswegen haben wir auch Unterstützung von einer Gruppe aus Alexandria bekommen, die immer wieder für unterschiedliche Aufgaben nach Anaphora kommt. Aber jetzt ist alles geschafft und auch der letzte Baum ist abgeerntet.
Es gibt, soweit ich weiß, noch keinen Plan dafür, aber jetzt die Woche ist der Hibiskus an der Reihe und auch die Orangen werden immer besser. Die Feigen brauchen aber noch etwas Zeit. Alle freuen sich hier aber schon auf den nächsten April, wenn die Maulbeerensaison anfängt. Mangos haben wir zum Glück noch im Tiefkühler. Wenn es sie nicht klein geschnitten oder als Saft gibt, dann im Obstsalat mit Guave, Trauben und Granatapfel. Ihr merkt, frische Früchte spielen eine große Rolle. Genau wie Auberginen, die so groß sind wie kleine Melonen und die Wiese aus Minze, die zum größten Teil im Teewasser endet. Ein neueres Testprojekt sind Aloe Vera und Sonnenblumen. Auch seit diesem Jahr auf dem Plan: Mais. Deshalb hatten wir auch beim Olivenernten einmal salziges Popcorn vom eigenen Hof. Mal schauen wie sich das alles hier entwickelt und was die nächsten Testprojekte sein mögen. Eins steht fest: Es wird wahrscheinlich ziemlich lecker.
Mit diesem Blog möchte ich das Thema Landwirtschaft bis hier hin einmal abschließen, doch bin ich mir sicher, dass es noch einen großen Einfluss auf die nächsten Blogs hat, da der Hof einfach das Herzstück Anaphoras ist. Zudem finde ich die Ideen und Methoden, die Anaphora für die nachhaltige Landwirtschaft einsetzt, sehr interessant, gerade im Hinblick auf die Zukunft dieser Region.
Ich hoffe, euch geht es gut auf Sri Lanka, in Schleswig oder Sydney, Kiel, München oder Mielberg! Macht´s gut und bis bald 🙂
23. Tag des
Monats Paopi 1736, 13:24 in Anaphora (jetzt kommt auch der koptische Kalender
dazu)
03.11.2019, 12:24 in Schleswig
Meine lieben
Blogleser, long time no see!
Der letzte Blog ist jetzt über einen Monat alt und doch
kommt es mir so vor, als hätte ich ihn letzte Woche erst geschrieben. Es ist
hier teilweise schwierig, einen Moment abzupassen, in dem man freie Zeit und
Energie gleichzeitig hat. Zum Glück habe ich diese Kombi heute und deshalb wird
das auch direkt genutzt.
In den letzten Wochen habe ich viel darüber nachgedacht, was
ich eigentlich in meinen ersten Blog aus Ägypten schreiben will. Um erstmal
einen Überblick über meine Gedanken zu bekommen, habe ich dann angefangen,
Tagebuch zu führen – mit dem Ergebnis, dass ich einzelne Erlebnisse als knappe
Stichpunkte formulieren muss, damit alles in mein Notizbuch passt und damit ich
nicht durch abstrakte Formulierungen diese Erlebnisse immer weiter in Worte
fassen muss, weil man meistens gar keine Worte finden kann. Für mich persönlich
ist dieses Notizbuch jetzt schon eine riesige Schatzkiste, die ich mit nach
Deutschland nehmen darf, doch für meinen Blog hat es die Arbeit noch weiter
erschwert… Eine schwierige Aufgabe also, da ich auf der einen Seite in mir drin
zu wenig über meine Gedanken nachgedacht habe und da ich auf der anderen Seite
auch nicht klischeehaft über Menschen berichten will, die ich erst seit kurzem
kenne.
Zum Glück sind mir gerade meine Flipflops vor dem Bett ins Auge gesprungen. Meine Flipflops, die ich jeden Tag von 7:30, wenn ich zum Frühstück gehe, bis ca. 21:30 oder länger trage und für die ich auch schon bekannt bin, obwohl ich nicht der einzige bin, der Flipflops trägt. Dass sie mir aufgefallen sind, ist deshalb gut, weil sie der wohl typischste Bestandteil meines Alltags sind, was auf den ersten Blick auffällt. Alleine optisch haben sie so viel zu bieten, das ist fast schon Kunst.
Erstens sind sie sehr dreckig (weshalb ich hier kein Bild
einblende J )
von den Unterschiedlichsten Situationen: Vielleicht ist es der Staub von dem
Acker, auf dem William und ich herumgekraxelt sind, als wir lange, dicke Äste
zum Bau unserer Enten- und Ziegenhäuser gesucht haben? Das ist nämlich eine der
Arbeiten hier, die sich sehr lang ziehen, weil wir eigentlich immer nur dann
weiterbauen können, wenn wir sonst keine anderen wichtigen Aufgaben erledigen
sollen, sodass nach einem Monat Bauzeit erst 2 der 3 geplanten Häuser fertig
sind. Allerdings ist das gar nicht so schlimm, da es auch keinen Spaß macht,
mehrere Tage am Stück bei 35°C in der Sonne Bäume zu fällen oder diese Stämme
dann im steinigen Boden einzugraben. Von Zeit zu Zeit ist es aber doch wieder
schön, eigene Häuser mit den eigenen Händen zu bauen.
Vielleicht ist es auch Sand, der von den langen
Spaziergängen stammt, die wir mit dem Schäferhund Troll machen, bevor wir sie
füttern, weil sonst niemand so richtig für sie Zeit hat. Für uns ist sie aber
ein richtiges Geschenk, weil wir auf den Spaziergängen schon echt viele neue
Leute kennengelernt haben, ganz besonders zu Anfang, als wir eigentlich noch
niemanden kannten. Und da wir so auch jeden Tag einen Grund haben, einmal das
ganze Gelände abzulaufen, kennen wir jetzt die meisten Orte in den drei
Bereichen Anaphoras: Zum einen ist da Anaphora selbst, wo sich der größte Teil
des Klosterlebens abspielt und wo die meisten Tassounis (= Schwestern) und
Abounas (=Väter), sowie die Freiwilligen und einige Tagesgäste leben. Hier
wohnen, essen und arbeiten wir meistens. Außerdem sind hier auch immer die
Morgenmeetings, in denen Platz ist für das globale Tagesgeschehen, das Wetter,
die Planung der nächsten Tage und für die Meditation. Diese besteht darin, dass
jeden Tag eine andere Person das „meditation-cross“ bekommt, wenn die Person,
die es vorher hatte denkt, dass man bei der anderen Person mal Danke sagen muss
oder wenn man der anderen Person eine Wertschätzung zeigen will. Am nächsten
Tag geht dann das Kreuz wieder zu jemand anderem und so weiter. Ich persönlich
finde diese Tradition sehr schön, weil diese kurze Geste vor allen Beteiligten
eine große Bedeutung für die Person hat, die das Kreuz bekommt.
Vielleicht ist da
auch noch Matsch an den Flipflops, den wir in den tiefen Reifenspuren vor dem
Amphitheater in Anaphora verteilt haben, als vor ein paar Wochen die French
Party stattfand, bei der unterm Sternenhimmel ein französisch-ägyptisches
Konzert und ein Festessen gegeben wurden, für das wir beim Aufbau, in der
vollen, heißen und chaotischen Küche, beim Kellnern, und beim Abwaschen
geackert haben.
Der zweite Bereich, den wir durch ein großes Eisentor
betreten, ist „Anastasia“ mit einem großen Gästehaus und einigen
Konferenzräumen, einer Bibliothek und weitläufigen Olivenfeldern, wo wir vor
einigen Wochen bei der Ernte geholfen haben (da waren die Flipflops aber nicht
am Start, sondern meine Stiefel, wegen der Schlangen und des Gestrüpps). Wie
voll es hier werden kann, haben wir zweimal gemerkt, als große Konferenzen mit
um und bei 300 Leuten hier waren, an einem Tag sogar der koptische Papst. Ein
Foto, wo ich dem Papst die Hand schüttele können meine Flipflops jetzt gerade
sehen. Bei beiden Konferenzen haben wir in der Küche gearbeitet, wo wir
gezwungenermaßen Arabisch sprechen mussten, um überhaupt zu wissen, was unsere
Aufgaben sind. Im Prinzip war das eigentlich das Beste, was uns passieren
konnte, da wir echt schnell mit Learning-by-doing und unseren Arabischstunden
bei einer Tassouni dazugelernt haben. Auch wenn ich mir noch ziemlich
unbeholfen vorkomme und gefühlt immer nur die gleichen 10 wörter benutze,
spreche ich doch schon in ganzen Sätzen, was mir eigentlich erst klar geworden
ist, als ich letztens ein (kurzes) Gespräch am Telefon komplett und erfolgreich
auf Arabisch geführt habe.
Hier in Anastasia findet auch nächstes Jahr wieder das
Second-Chance-Programm statt, bei dem junge Ägypter, die aus den
unterschiedlichsten Gründen die Schule abgebrochen haben, in den Basics Unterricht
bekommen, was sehr untypisch für Ägypten ist. Genauso untypisch ist auch die
Rollenverteilung in Anaphora: Frauen dürfen klassische Männerberufe ausführen
und andersherum – leider sonst ein No-Go. Alleine schon der Fakt, dass William
und ich als Jungs in der Küche und danach auf dem Bau gearbeitet haben, ist
außerhalb der Klostermauern unvorstellbar. Bestimmt ist hier auch nicht alles
perfekt und im Alltag hat man auch hier eine ungewollte, und doch existierende,
Trennung zwischen Männern und Frauen, doch empfinde ich Anaphora als einen sehr
guten Beitrag in Richtung Gleichberechtigung.
Der dritte Bereich ist mit zwei großen Toren abgesperrt und
heißt „Anamnesia“. Hier sind noch einmal große Felder mit Oliven-, Feigen- und
Mangobäumen, sowie die Auferstehungskirche, in der seit Jahren Wandgemälde
geschaffen werden. Hier durften wir beide uns auch bereits mit einigen Fischen
verewigen, die Teil einer ganzen Wand sind, die am Ende komplett voll mit
Fischen sein wird, so unterschiedlich gemalt, wie die unterschiedlichen Leute,
die hier ihren Teil dazu beigetragen haben.
Außerdem sind die Flipflops immer noch voll mit weißer
Wandfarbe vom Streichen der Gästehäuser und der Kirche in Anaphora vor zwei
Wochen (die Arbeitskleidung sieht aber immer noch um einiges schlimmer aus…)
Begleitet von jeder Menge süßem Tee, guter Musik und einem sehr sympathischen
Franzosen war das eigentlich eine der besten Aufgaben bis jetzt und wieder ein
Projekt mit vielen anderen Ägyptern, die uns im Minutentakt an unsere sprachlichen
Grenzen brachten (zum Glück!). So konnten wir nicht nur unsere Arabisch-Skills
verbessern, sondern jetzt sind wir auch vorbereitet auf jegliche Renovierungen
in WG-Zimmern, wo wir dann aber lieber nicht Steckdosen und Lichtschalter
übermalen, wie es hier normal scheint.
Möglicherweise ist auch das eine oder andere Haar von meiner
Katze daran, die ich jetzt seit vier Wochen habe und die so anhänglich, wie
hungrig ist. Und vielleicht ist auch etwas Essigsäure an ihnen festzustellen,
die wir für die Poolreinigung benutzen. Liebe Blogleser, seid froh, dass ich
keine Gerüche herübersenden kann, denn Essigsäure ist nicht unbedingt das
höchste der Gefühle und nach einem Monat riechen die Klamotten immer noch…
Generell sind Gerüche hier ganz anders als Zuhause, wo man alle möglichen
Putzmittel zur Beseitigung da hat und wo man nach dem Duschen riecht wie ein
Obstsalat. Hier ist eigentlich gar nichts so schön geruchsneutral, wie in
vielen deutschen, klinisch reinen Haushalten. Gleichzeitig wird alles sehr schnell
dreckig, staubig und bleicht in der Sonne aus. Ich glaube in meinem Zimmer gibt
es nichts, was nicht staubig ist, aber zum Saubermachen habe ich meistens keine
Zeit oder es wäre einfach sinnlos, weil nichts lange sauber bleibt. Bunte
Stoffe bleiben nicht lange farbenfroh und alles aus Plastik wird spröde bis man
es wegwirft. Meiner Meinung nach ist es wirklich wertvoll, zu realisieren, dass
nicht alles für die Ewigkeit gemacht ist und dass nicht jeder Fleck
rausgewaschen werden kann. Und jetzt? Dann zieht man eben das an, was
vielleicht fleckig ist oder irgendwo ein Löchlein hat. So what? Wen
interessiert das denn? Und wenn man es dann doch komplett aufgetragen hat, kann
bestimmt etwas daraus gefertigt werden, wenn es nach den Arbeitern in der
Werkstatt „Arofana“ („Anaphora“ rückwärts 😉 ) geht, die sich um das Recycling
von allen möglichen Dingen kümmern (im Idealfall) Wenn das Shirt noch gut, aber
vielleicht nicht mehr `in` ist, kann man es im Second-Hand-Laden loswerden.
Leider bekommen meine Flipflops nie etwas von den spannenden
Tagen in Kairo mit, wenn wir dort für unser Visum oder für Ausflüge sind, aber
dazu muss ich eigentlich einen eigenen Blog schreiben. Aber zum Glück kriegen
sie jeden Tag und jede unerwartete Wendung mit, die hier so passieren, denn
eigentlich ist immer irgendwas Ungeplantes los, was ich am Leben in Anaphora
extrem schätze. Es gibt immer neue Gespräche mit Gästen aus Ägypten,
Frankreich, Norwegen, Schweden, Finnland,… oder spontane Pläne nach
unerwarteten Anrufen von einer Tassouni oder von den amerikanischen
Freiwilligen. Dann steht man plötzlich mit den anderen Arbeitern auf der
Fußball-Wiese, hilft beim Waschen der Teppiche im Pool, wird unerwartet zum
Curry-Dinner eingeladen oder fährt spontan für die SIM-Karte zur Mall, nachdem
es heißt „oh, in 10 Minuten geht’s nach Kairo“. Vielleicht ist nicht immer die
Qualität der Lebensstandards sehr besonders, aber die Qualität des Lebens ist
wahnsinnig hoch.
Shukran, ya Anafura
Mit diesen ersten Eindrücken möchte ich den zweiten Blog beenden und ich hoffe, dass der dritte schon bald folgt. Ich hab große Lust, auch über Dinge außerhalb von Anaphora zu schreiben oder über die Landwirtschaft hier, die ich als Kind vom Dorf doch ziemlich interessant finde.
Liebe Grüße, dahin, wo auch immer Ihr gerade auf diesem Planeten seid 🙂
“I believe in angels/ something good in everything I see/ I believe in angels/ when I know that time is right for me/ I´ll cross the stream/ I have a dream“ – ABBA
In neun Tagen geht es los, meine lieben Blogleser.
Ich bin doch super vorbereitet denke ich mir schon seit
Wochen. Die Seminare habe ich als Inspiration förmlich aufgesogen, mein
Reisetagebuch ist gestaltet und wartet nur darauf, mit tollen Erinnerungen
gefüttert zu werden, bei Instagram zeigt meine Explore-Funktion nur noch
Ägypten-Fotos, an unserem Küchenschrank zu Hause hängt eine großformatige Karte
dieses uralten Landes.
Ich lese ägyptische Literatur der jüngeren Vergangenheit (sehr empfehlenswert) und noch neuere Hits aus den Charts 2019, sowie Lieder, die von Abschied, Leben, Reisen, der `sun followen` usw. handeln (selbstverständlich in einer eigenen Playlist: „anaphora beats“). Das Visum ist fest im Reisepass eingeklebt, mein Google-Kalender läuft `interkulturell` nach unserem Sonnenkalender und nach dem islamischen Mondkalender. Selbstverständlich habe ich dort auch ägyptische Feiertage eingetragen, islamische, wie koptische. Deshalb will ich auch die Daten der Blogeinträge interkulturell halten, eigentlich sind es ja nur verschiedene Arten, diesen Tag abstrakt zu beziffern.
Ich habe mein Gepäck sogar schon probegepackt, es passt
alles ganz knapp rein; auf YouTube gibt es eine wirklich gute Doku über das
Projekt Anaphora (leider hauptsächlich auf Französisch), ich glaube ich kann
sie lippensynchron mitsprechen, obwohl ich gar kein Französisch kann. Liebe
Blogleser, ich denke Ihr habt nun einen kleinen Einblick, was ich mit vorbereit
meine.
Allerdings gab und gibt es noch so viele Dinge, auf die ich
nicht vorbereitet gewesen bin. Zum Beispiel Freunde für fast ein Jahr zu
verabschieden und zu wissen, dass wenn man wiederkommt, alle ganz andere
Erfahrungen gemacht haben und eigentlich nie wissen können, was man genau
meint, wenn man etwas erzählt, weil sie nie dabei waren. Auch nun Vollmachten
auszustellen, die „nicht nach dem Tod“ enden, sondern wenn ich oder die Erben
diese auflösen, ist erstmal seltsam.
Wie mein Zimmer aussieht, in dem ich nächste Woche einziehe,
weiß ich nicht. Wie mein erster Tag auf diesem fremden Kontinent sein wird,
weiß ich auch nicht. Wie wird wohl das Gefühl sein, das erste Mal in Ägypten
aufzuwachen und zu wissen, dass dies Tag 1 von ca. 334 Tagen ist? Aber auch so
kleine Dinge schwirren mir durch den Kopf: Wie läuft das mit meiner ägyptischen
Handynummer, wie organisiere ich Reisen im Land, wenn ich Urlaub habe, und wie bescheuert
werde ich mir mit meinem Zeige-Wörterbuch vorkommen?
Zu alledem muss ich aber auch sagen, dass mir diese Fragen überhaupt keine Angst machen, sondern dass sie mir eher noch mehr Vorfreude machen, auf das was kommt. Denn, das sage ich mir immer wieder, das Leben geht weiter, die Erde dreht sich dann immer noch genauso schnell, das Universum bleibt nicht stehen- und ich zum Glück auch nicht. Ich bin einfach nur 11 Monate `wo anders`. Nur dass ich dieses `wo anders` noch nicht kenne.
Liebe Blogleser, ich hoffe Ihr habt Lust, meinen
Freiwilligendienst zu begleiten und teilzuhaben an meinem „Aussteigerleben“ in
Anaphora. Zusammen entdecken wir Kairo, altehrwürdige ägyptische Altertümer,
eine krasse Sprachbarriere, hoffentlich nicht zu viele Moskitos, das wunderbare
orientalische Essen, fremdartige Musik und wie bescheuert ich mir vorkommen
werde mit meinem Zeigewörterbuch, das mir dennoch garantiert die eine oder
andere Situation erleichtern wird. Zusammen reisen wir auch nach Tansania zum
Zwischenseminar und ja, irgendwann auch wieder nach Hause, dann aber mit so
vielen neuen Erfahrungen, dass es kaum `zurück` nach Hause sein kann, sondern
nur `vorwärts` nach Hause.
Wenn Ihr mehr Bilder oder Stories sehen wollt, dann schaut einmal bei Instagram rein unter @aaron.gnade oder @volunteers.zmo für die Seite aller Freiwilligen in diesem Jahr. Dort und per E-Mail unter gehe ich auch super gerne auf alle möglichen Fragen ein und beantworte sie entweder persönlich oder in weiteren Blogs. Ich freue mich auf das was kommt und schaue zuversichtlich auf den 28.08.2019, bzw. den 26.12.1440!