Die letzten zwei Monate waren von vielen Veränderungen geprägt.
Wie ja schon lange geplant war, ist am 17. Februar meine Mitbewohnerin nach Deutschland zurückgekehrt. Da ich mich mit ihr sehr gut verstanden habe, war das sehr traurig für mich. Ziemlich genau zur gleichen Zeit erzählte mir dann auch mein anderer Mitbewohner, dass er vorhat, nach Deutschland zurückzufliegen, was bedeutete, dass ich bald als einzige Freiwillige alleine in Padilha wohnen würde.
Ich habe daraufhin lange mit mir gehadert und hin und her überlegt, mich letztendlich dann aber dazu entschieden, zu versuchen die Einsatzstelle zu wechseln.
Ich habe in den ganzen Monaten in Brasilien festgestellt, wie gerne ich in einer WG lebe und meine beiden Mitbewohner haben einen sehr großen Teil zu dem Zuhause beigetragen, das Padilha für mich geworden ist. Schon als meine Mitbewohnerin nach Hause geflogen ist, fühlte es sich nicht mehr ganz so nach Zuhause an und mir war klar, dass das alleine nur noch schlimmer werden würde. Also entschloss ich mich obwohl ich Padilha, das Kinderheim, die Kinder und alle Leute dort sehr lieben gelernt habe, dazu zu gehen.
Daraufhin folgte eine gefühlt endlose Phase des Wartens und Hoffen, dass ein Wechsel überhaupt möglich ist. Irgendwann stand dann fest: ich werde nach Porto Alegre ziehen und zwar in die WG mit den Freiwilligen, die wir auch viele Wochenenden schon besucht hatten. Meine Erleichterung war groß und obwohl der Abschied sehr schwer war, bin ich sehr dankbar, hier in Porto Alegre nochmal etwas Neues erleben zu dürfen. Und die 1,5 Millionen Einwohner Stadt ist doch schon ganz schön was anderes als das siebenhundert Einwohner Dorf Padilha. Da die beiden Orte aber nur zwei Stunden voneinander entfernt sind, kann ich zum Glück zu Besuch nach Padilha.

Auch ganz anders ist jetzt mein Alltag. Mit dem Umzug ging natürlich auch ein Einsatzstellenwechsel einher und ich habe jetzt sogar nicht nur eine neue Einsatzstelle, sondern zwei.
Um einen besseren Einblick zu verschaffen hier jetzt mal ein grober Ablauf meiner Woche:
Ich stehe morgens um 6:45 Uhr auf, mache mich fertig, gehe um ca. 7:35 Uhr aus dem Haus, laufe zehn Minuten zum Bahnhof, warte kurz und steige in den Zug. Mit dem fahre ich dann ca. eine Stunde in die Stadt Novo Hamburgo.


Montags, Dienstags und Donnerstags laufe ich dann von der Station zehn Minuten zu meiner einen Einsatzstelle, dem Kindergarten „Escola de Educação Infantil da Paz“ (kurz EEIP). Um neun fange ich dort an und verbringe den Tag mit den Babys, die alle unter zwei Jahre alt sind. Die meiste Zeit bin ich dort mit zwei anderen Mitarbeiterinnen und helfe dabei, die Babys zu füttern, in den Schlaf zu singen oder die meiste Zeit auch einfach zu bespaßen.

Auch wenn es manchmal etwas eintönig ist, bin ich sehr froh, dort eine feste Aufgabe zu haben und mich gebraucht zu fühlen. Außerdem verstehe ich mich sehr gut mit meinen Kolleginnen und habe die Kinder schon sehr ins Herz geschlossen.
Mittwochs und Freitags werde ich vom Bahnhof entweder abgeholt oder muss mit dem Uber ein paar Minuten zu meinem anderen Projekt „Ação Encontro“ fahren. Ação Encontro ist ein Projekt für Kinder und Jugendliche im Alter von 7-17 Jahren aus der Region. Die Kinder haben immer entweder vormittags oder nachmittags Schule und sind die jeweils andere Zeit in dem Projekt – die Vormittagsgruppe kommt von acht bis ca. 11:40 Uhr und die Nachmittagsgruppe kommt von 12:40 – 16:40 Uhr. Dazwischen ist Mittagspause für alle Mitarbeiter.

In dem Projekt werden den Kindern jeden Tag drei verschiedene Workshops angeboten, die sie meistens auch alle im laufe des Tages einmal machen.
Mittwochs ist das Judo, Zirkus/ Theater und eine pädagogische Stunde.
Die beiden Male, die ich bis jetzt da war, habe ich in der pädagogischen Stunde mitgeholfen. Das erste Mal habe ich vor allem zugesehen und leicht unterstützt. Das zweite Mal hatte ich mit der Professora ausgemacht, dass ich die Zeit nutze, um ein bisschen Englischunterricht zu geben. Zu meiner Überraschung hieß „ein bisschen Englischunterricht geben“, dass ich den Workshop den ganzen Tag alleine geschmissen habe und den ganzen Tag verschiedenste Gruppen im unterschiedlichsten Alter vor mir sitzen hatte. Zwischendurch stand ich dann in diesem Klassenzimmer und hatte fünfzehn Kinder im Alter von sieben bis elf vor mir, die nachmittags um zwei nicht unbedingt mehr aufnahmebereit und sehr hibbelig waren. Ohne die Namen zu kennen und mit meinem zwar mittlerweile akzeptablem aber noch lange nicht perfektem Portugiesisch, war das eine ganz schöne Herausforderung.

Von der Unterforderung, die ich so manches Mal in Padilha verspürt habe, kann ich nichts mehr feststellen und auch wenn es sehr anstrengend ist, bin ich unfassbar dankbar für diese Erfahrungen.
Jeden Tag der Woche darf ich mich gegen 16:30 Uhr wieder auf den Heimweg machen und fahre mit dem Zug wieder nach Hause. Momentan vertreibe ich mir die Zugfahrt damit, das Hörbuch von „Der Herr der Ringe“ zu hören. Gegen sechs komme ich dann Zuhause an. Da ich nach der Arbeit immer ziemlich geschafft bin, sieht meine Freizeitgestaltung leider noch etwas karg aus, zumal es immer schon dunkel wird, wenn ich ankomme. Mittwochs gehe ich mit zwei meiner Mitbewohnerinnen immer zum Chor von der Kirche über der wir wohnen und habe sehr viel Spaß daran gefunden. Auch in Deutschland hatte ich immer im Chor gesungen und fast vergessen, wie viel Freude es mir macht.
Dienstags hatten zwei weitere aus meiner WG und ich jetzt angefangen einen Portugiesischkurs zu machen, sind aber noch nicht ganz zufrieden mit dem Level. Da wir mittlerweile ganz gut im sprechen sind, geht es uns vor allem darum, die Grammatik zu lernen. Diese auf einem niedrigen Level zu lernen und trotzdem nicht von dem Sprechteil unterfordert zu sein, ist aber sehr schwierig.
Eigentlich will ich auch noch einen Tanzkurs anfangen, habe momentan aber leider noch keinen passenden gefunden und brauche noch etwas mehr Motivation nach der Arbeit.
Generell muss ich mich noch an die Eigenständigkeit gewöhnen, die ich jetzt brauche und die ich in Padilha prinzipbedingt nicht wirklich hatte.

Ein bisschen um mich selbst herauszufordern, bin ich über Ostern ganz spontan ganz alleine in den Urlaub gefahren. Donnerstag morgen hatte ich die Idee, Donnerstag Abend hatte ich die Tickets gekauft, Freitag morgen saß ich im Bus und Freitag Abend war ich im Hostel in Florianopolis. Meine anfängliche Besorgnis wurde schnell abgelöst, von ganz vielen Gesprächen mit tollen Menschen und der Freude am Meer. Ich bin super dankbar für diese Erfahrung und werde, wenn sich die Gelegenheit ergibt, bestimmt nochmal alleine in den Urlaub fahren.

Hier in Brasilien wird das allerdings wahrscheinlich nichts mehr, denn auch wenn ich es kaum glauben kann sind es nur noch dreieinhalb Monate, bis es wieder nach Deutschland zurück geht. Es fühlt sich mittlerweile gar nicht mehr so sehr nach einem Freiwilligendienst an, sondern einfach nach einem Leben hier. Wieder nach Deutschland zurückzukehren wird sehr schwer und komisch werden, auch wenn ich mich natürlich sehr freue, alle dort wiederzusehen.
Deswegen werde ich die Zeit hier noch so gut es geht nutzen und bin sehr gespannt, was ich noch alles erleben darf.