Der Islam steht nach wie vor im Fokus der öffentlichen Kritik. Immer wieder wird in den Medien, der Wissenschaft und auch in der Kirche behauptet, dass der Islam nicht nur als monotheistische Religion verstanden werden kann, sondern zugleich eine Ideologie und ein Rechtskonzept ist. Von hier ist der Schritt nicht weit, Muslim*innen zu unterstellen, dass sie selbst dann, wenn sie sich in interreligiösen Dialogen engagieren, eine geheime Agenda haben: An deren Ende steht ein politisches Programm, das persönliche Freiheitsrechte zurückdrängt und demokratiefeindliche Positionen vertritt.
Besonders schräg wird es, wenn diese Argumentation sich auf das islamische Gottesbild bezieht und gesagt wird, dass die christliche Gottesvorstellung von Frieden und Ausgleich bestimmt ist, während islamische Gottesvorstellung Unterwerfung und Gewalt fördern. Diese Verzeichnung macht es möglich, dass religiös motivierte Gewalt nicht als verzerrte Fehlinterpretation wahrgenommen wird, sondern als Normalform des islamischen Glaubens.
Interreligiöser Dialog versucht solchen Tendenzen entgegenzuwirken, indem er die Unterschiedlichkeit von Religionen nicht unter der Maßgabe wahrnimmt, dass jede Abweichung von eigenen Vorstellungen negativ zu bewerten ist. Stattdessen leistet interreligiöser Dialog Differenzierungsarbeit, die es ermöglicht, Unterschiede und Gemeinsamkeiten erst einmal wertfrei wahrzunehmen. In einem zweiten Schritt können sie dann daraufhin befragt werden, ob sie neue Perspektiven bereithalten, die gegenseitiges Lernen ermöglicht.
Es ist nicht die Absicht des interreligiösen Dialogs, das Christentum mit dem Islam zu vergleichen. Solche Ansätze können kaum hilfreiche Ergebnisse hervorbringen, weil Religionen in sich viel zu unterschiedlich sind, um eindeutige Vergleiche anstellen zu können. Deswegen können immer nur Ausschnitte von Religionen miteinander verglichen – oder besser noch – in einen gegenseitigen Dialog gebracht werden.
In einem solchen Dialog können Ideen geäußert und Nachfragen gestellt werden, die erstens dazu führen, die jeweils andere Religion besser zu verstehen. Der unbedingt notwendige zweite Schritt sollte aber darin bestehen, dass im Licht der neuen Erkenntnisse auch die jeweils eigene Religion daraufhin befragt wird, wie sie sich zu diesem Sachverhalt äußert. Damit eröffnet der interreligiöse Dialog die Chance, durch die Begegnung mit Anderen das Eigene neu wahrzunehmen und hoffentlich neu wertzuschätzen – oder aber einer kritischen Revision zu unterziehen.