Pfingsten – Fest der Vielfalt, Fest der Hoffnung 

Turmbau zu Babel. 诗 1  (Psalm 1)    范檏 (Fan Pu)  2013.12    1/10

Gedanken von Direktor Christian Wollmann zu Pfingsten 2025

Pfingsten erzählt von einem Wunder, das in Vielfalt mündet: Menschen aus allen Völkern, Sprachen und Kulturen hören einander. Sie können einander plötzlich verstehen und entdecken darin Gottes lebendige Gegenwart. Vielfalt wird nicht bloß toleriert, sondern zum Ausdruck des göttlichen Wirkens selbst. Der Heilige Geist zeigt sich nicht in Uniformität, sondern in der bunten Vielstimmigkeit der Welt, die die Menschen einander näher bringt und miteinander verbindet. 

Diese biblische Geschichte aus der Apostelgeschichte berührt mich, weil sie heute so aktuell ist. Sie zeigt mir, dass Gott Vielfalt schafft und will. Diese Wahrheit anzunehmen, fordert mich als weißen Mann und Theologen heraus. Es erfordert Mut und vor allem Hoffnung – Hoffnung, dass in dieser Vielfalt eine Kraft liegt, die mich belebt und befreit. Es ist eine Kraft, die mir hilft, Angst zu überwinden. Denn wo Angst herrscht, bauen wir Mauern, wo aber Hoffnung wächst, öffnen sich Türen und Herzen. 

Dabei darf und will ich nicht verschweigen, dass wir als Kirche diese Vielfalt lange nicht wertgeschätzt haben. Wir haben Menschen ausgegrenzt, koloniale Strukturen unterstützt und uns allzu oft über andere gestellt. Unsere eigene Missionsgeschichte zeigt mir dies sehr deutlich: Die Breklumer Mission, Urgroßmutter des Ökumenewerkes der Nordkirche, war wie alle Missionswerke der Zeit in koloniale Denkweisen verstrickt und glaubte einst, die ganze Welt nach eigenem Maßstab prägen zu müssen. Das ist nicht die ganze Wahrheit über das Wirken der Missionarinnen und Missionare, doch eben leider ein erheblicher Teil. Diese Geschichte wirkt bis heute nach, in der Kirche wie in der gesamten Gesellschaft. Ich will mich dieser schmerzlichen und befreienden Wahrheit stellen.  

Das Pfingstereignis als ein Sich Anstecken Lassen und Verschmelzen mit Christus, Röm 1, 1-2. Scherenschnitt von Fan Pu.

Doch in der Erkenntnis der eigenen Fehler liegt für mich auch eine große Chance – die Chance auf ehrliche Veränderungsprozesse. Ich spreche offen über koloniale Verstrickungen und ihre Folgen, nicht nur in der Geschichte, sondern auch im Hier und Jetzt. Mir wird immer klarer, wie tief koloniale Denkweisen noch heute in uns wirken und uns miteinander prägen. Gerade deshalb brauche ich die Vielfalt der Perspektiven und möchte ich mich öffnen für das, was andere sehen, fühlen und glauben. Nur so können wir uns wirklich verwandeln und uns auf Augenhöhe begegnen. 

Auch der praktische Theologe Emmanuel Lartey erinnert mich daran, dass die Bibel eine Geschichte der Vielfalt erzählt. Er deutet die Geschichte vom Turmbau zu Babel als einen Hinweis, dass Gott Vielfalt schützt und fördert, um Menschen vor der Dominanz einer einzigen Kultur, Sprache oder Denkweise zu bewahren. Pfingsten und der Turmbau zu Babel zeigen ein bewusstes Ja Gottes zur Vielstimmigkeit der Welt. Gott selbst spricht in unterschiedlichen Sprachen, er manifestiert sich in unterschiedlichen Kulturen und Perspektiven. Vielfalt ist nicht Bedrohung, sondern Reichtum und mehr Teilhabe – eine Chance, Gott tiefer und vollständiger zu begegnen. 

Ich brauche deshalb die Stimmen aus Tansania, Indien, China und von überall auf der Welt – nicht als bloße Ergänzung, sondern als notwendige Bereicherung meines eigenen Glaubens. Wir können das große Geheimnis Gottes nicht allein oder nur mit unserer eigenen Glaubensperspektive tragen. Wir würden uns übernehmen. Zusammen aber geht es. 

Heute geht es nicht darum, Fehler einfach nur zu bereuen, sondern  aufzuarbeiten, aktiv aufeinander zuzugehen und von- und miteinander zu lernen. Vielmehr wollen wir gemeinsam Verantwortung übernehmen, auch wenn das manchmal schmerzhaft ist. Darin liegt für mich Hoffnung: Dass wir im ehrlichen Austausch Heilung und Versöhnung erfahren, sowohl mit unseren Geschwistern weltweit als auch mit Gott. 

Nicht zuletzt leben wir in der Nordkirche in einer pluralen religiösen Nachbarschaft mit unzähligen christlichen Gemeinden unterschiedlicher Sprachen und Herkünfte, lutherische Christinnen und Christen aus aller Welt sind Mitglieder unserer Gemeinden, und People of Color sind unsere Kolleginnen und Kollegen im Dienst der Nordkirche. Das Bild vom Gastgeber und den Gästen passt schon längst nicht mehr. Wir sind Emmaus-Jünger auf dem gemeinsamen Weg. 

Ich möchte darum auch gerne unsere  Strukturen überdenken, Gottes vielfältiges Wirken in dieser Welt willkommen heißen. Die Kirche von heute und morgen wünsche ich mir als einen Ort, an dem sich Vielfalt entfaltet – nicht nur geduldet, sondern wertgeschätzt und gefördert wird. Mir liegt daran, Vielfalt als Geschenk Gottes zu erkennen und mutig mit Leben zu füllen. So wird aus der Hoffnung Wirklichkeit, so wird Gottes vielfältige und bunte Welt sichtbar mitten unter uns. Genau dazu lädt mich Pfingsten ein. Genau dazu schenkt Gott uns allen seinen Geist. 


Pastor Dr. Christian Wollmann, Direktor des Ökumenewerks der Nordkirche
(war von 2007 – 2010 Gastdozent für Christentum, staatl. Shaanxi Normal University, Xi’an VR. China)