Die Philippinen haben sich nach dem Sturz der Marcos-Diktatur (1965-1986) eine moderne Verfassung gegeben, die demokratische Wahlen garantiert, Religionsfreiheit gewährt, Medienvielfalt begünstigt, die Rechte indigener Menschen schützt und im asiatischen Vergleich als durchaus progressiv gelten kann. Politische Opposition und eine vielfältig engagierte Zivilgesellschaft sind erwünscht. Homosexuelle werden allgemein akzeptiert und können sogar Kinder adoptieren.
De facto wird das Land von einer Reihe reicher und mächtiger Familienclans regiert. Korruption ist Teil des politischen Systems. In der Regierungszeit von Rodrigo Duterte (2016-2022) machten die Philippinen wegen des „Kriegs gegen die Drogen“ internationale Schlagzeilen. 6.200 Menschen wurden nach eigenen offiziellen Angaben unter Dutertes Befehl auf offener Straße von maskierten Killerkommandos aus dem Umfeld von Polizei und Militär erschossen, weswegen er vom internationalen Gerichtshof angeklagt ist, Verbrechen gegen die Menschheit begangen zu haben. Menschenrechtsgruppen schätzen die tatsächliche Zahl auf 27.000 Opfer des Krieges gegen die Drogen. In diesem Zusammenhang wird von extra-legalen Tötungen (extra-legal killings) und Straflosigkeit (impunity) gesprochen. Auch die Anzahl getöteter Journalisten ist trotz der liberalen Gesetzgebung sehr hoch, ihre Morde werden in der Regel ebenfalls nicht juristisch untersucht oder geahndet.
Besonders gefährlich ist die Praxis des sogenannten „red-taggings“. Personen werden als Angehörige oder Unterstützer des bewaffneten kommunistischen Widerstands bezeichnet, auf Flugblättern verunglimpft, durch Schmierereien an Hauswänden oder anonym aufgehängte Poster mit Fotos und Namen angeprangert. Auf „red-tagging“ folgt häufig eine Festnahme unter fabrizierter Anklage. Manche Personen „verschwinden“ oder werden ermordet.
Das Alter für Strafmündigkeit wurde 2019 von 15 auf 12 Jahre gesenkt. (Das Mindestalter für legalen Sex hob die Regierung von Marcos Junior im Mai 2022 von bis dahin 12 auf 16 Jahre an.) In den Gefängnissen der Philippinen herrscht allgemein Überfüllung. Bis zu 80 Menschen teilen sich eine Zelle mit Holzpritschen in drei Etagen. In der Regel gibt es weder Beschäftigungsprogramme noch eine Versorgung mit Hygieneartikeln wie Zahnbürsten, Zahnpasta oder Handtüchern. Wer keine Angehörigen oder Freunde hat, die ihn oder sie im Gefängnis besuchen und mit solchen Dingen versorgen, kann nur hoffen, dass er in den Genuss von Spenden kommt, wie sie z.B. von kirchlichen Organisationen zu bestimmten Anlässen abgegeben werden dürfen. Auf einen Prozess warten viele Gefängnisinsassen jahrelang – ohne Anwalt und Unterstützer außerhalb der Mauern, gibt es oft wenig Hoffnung auf Entlassung. Gerichtstermine und Anhörungen werden häufig ohne Erklärung verschoben oder ausgesetzt.
Eine ZDF-Dokumentation zeigt die Zustände in philippinischen Gefängnissen sehr eindrücklich, siehe hier.

Seit drei Jahrzehnten setzt sich Aldeem Yañez aktiv für Friedenskonsolidierung und Menschenrechtsarbeit in den Philippinen ein. In der Iglesia Filipina Independiente (IFI) beeindruckte er schon als junger Mann durch seine musikalischen Kompositionen und sein persönliches Charisma Viele und wurde zum Leiter der Jugendorganisation gewählt. Sein Bruder, Pastor June Yañez, hat von 2015-2020 als Seelsorger im Seemannsclub Duckdalben in Hamburg für die Nordkirche gearbeitet. Vor seiner Festnahme war Aldeem Yañez als Freiwilliger im Regionalbüro für Entwicklung der Iglesia Filipina Independiente (IFI) in den Provinzen Visayas und Mindanao tätig.
Am 10. April 2022 wurde Yañez im Haus seiner Eltern im Barangay xii[1] Iponan, Cagayan de Oro, verhaftet. Nach Angaben der nationalen philippinischen Polizei (PNP) wurden bei der Razzia angeblich eine Waffe, Granaten und subversive Dokumente beschlagnahmt. Seine Familie beobachtete, wie Personen durch die Hintertür in das Haus eindrangen und dadurch die Möglichkeit hatten, die beschlagnahmten Gegenstände im Haus zu platzieren.
Die Verhaftung erfolgte auf der Grundlage eines Haftbefehls vom 6. April 2022 wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Gesetz zum illegalen Besitz von Feuerwaffen und Munition (Republic Act 10591) und dem Gesetz zum illegalen Besitz von Sprengstoff (Republic Act 9516). Berichten von Menschenrechtsgruppen zufolge ist es gängige Praxis der PNP, bei Durchsuchungen Waffen und Sprengstoff als Beweismittel bei Verdächtigen zu platzieren, um Anschuldigungen für eine Verhaftung von Menschenrechtsverteidiger:innen zu erfinden.
IFI-Mitglieder berichteten, dass Yañez zuvor red-tagging-Angriffen (Erklärung siehe unten) ausgesetzt war. 2018 und 2020 wurden Yañez und andere Menschenrechtsverteidiger:innen bereits Opfer willkürlicher Verhaftungen und beschuldigt, Mitglieder der der bewaffneten Guerilla (National People´s Army, NPA) zu sein. Die Gerichte hatten die Anklagen zweimal aufgehoben.
Nach Yañez’ Inhaftierung erhob das Justizministerium am 24. August 2022 eine weitere Anklage gegen ihn wegen angeblichen Verstoßes gegen das Gesetz zur Verhinderung und Bekämpfung von Terrorismus-finanzierung (Republic Act 10168). Der Anklage zufolge soll er an der Weiterleitung ausländischer Entwicklungsgelder an die NPA beteiligt gewesen sein. Als wahrer Grund für seine Verhaftung wird sein Engagement für Menschenrechte, insbesondere für die Rechte Indigener, vermutet.
Yañez’ Familie kämpft seither für das Fallenlassen der inzwischen über 50 fabrizierten Anklagepunkte. Sie gibt an, dass Yañez die illegalen Waffen und Sprengkörper untergeschoben und auch der in diesem Zusammenhang ausgestellte Haftbefehl gegen ihn auf Basis von falschen Zeugenaussagen erlassen worden seien. Yañez befindet sich im Cagayan de Oro City Gefängnis in einer Zelle mit 60 weiteren Insassen. Die Iglesia Filipina Independiente kämpft in einer nationalen Kampagne um seine Freilassung. In diesem Zusammenhang wurde 2024 ein Liederbuch mit 50 selbst komponierten Liedern zu seinem fünfzigsten Geburtstag herausgegeben. (siehe hier)
Text mit freundlicher Genehmigung von Astrud Behringer, amp, Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen, ergänzt von Isabel Friemann.
[1] Barangay bezeichnet die kleinste kommunale Verwaltungseinheit.
Red-Tagging (rote Markierung) ist eine seit langem bestehende Strategie und Praxis in den Philippinen, die ihren Ursprung im US-Krieg gegen den Terror hat. Akteur*innen der Zivilgesellschaft, Arbeiter*innen, Landarbeiter:innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Sozialarbeiter*innen, Indigene, Lehrer*innen, Politiker*innen und Zivilist*innen in Konfliktgebieten werden fälschlicherweise als Mitglieder oder Unterstützer*innen des kommunistischen Aufstands, der NPA, als Staatsfeinde oder Terrorist*innen gebrandmarkt.

Diese Praxis ist Teil der Aufstandsbekämpfungskampagne der Regierung, deren Institutionen oder Vertreter*innen Einzelpersonen und Organisationen mit öffentlichen Verleumdungen oder sogar fabrizierten Anklagen verfolgen. Diese öffentlichen Verunglimpfungen dienen häufig zur Legitimierung von Überwachung, Einschüchterung, illegalen Verhaftungen, Verschwindenlassen und sogar Tötungen durch staatliche oder paramilitärische Sicherheitskräfte. Red-Tagging verbreitet daher ein Klima der Angst und versucht, unerwünschte Kritik und friedliches Eintreten für die Menschenrechte zu unterdrücken.

Im Sommer 2017 begleitete Bischof Morales (Iglesia Filipina Independiente) als neutraler Vermittler Herrn Rommel Salinas, einen Angehörigen der NPA (New People´s Army, bewaffnete kommunistische Guerilla) zu einer vereinbarten Friedensverhandlung mit Regierungsvertretern in Mindanao. Auf dem Weg dorthin wurde der Wagen an einer Militärkontrolle angehalten und untersucht. Angeblich fanden sich im Kofferraum Feuerwaffen. Die Uniformierten wollten Herrn Salinas abführen und den Kirchenmann fahren lassen; der Bischof wich nicht von Salinas Seite, weil er um dessen Leben fürchtete. Daraufhin wurden beide festgenommen und unter der Anklage auf illegalen Waffenbesitz in das Gefängnis von Ozamis gebracht.
Nach neun Monaten und anhaltenden nationalen und internationalen Protesten wurde Bischof Morales auf Kaution (3.000 Euro, vom Ökumenewerk der Nordkirche zur Verfügung gestellt) freigelassen. Im Juli 2024, erging ein Freispruch für ihn und Rommel Salinas.