Große Herausforderungen für die lutherischen Kirchen in Indien

Ein Interview mit Logan Samuel Ratnaraj, dem Projektkoordinator der UELCI

Logan Samuel Ratnaraj, Projektkoordinator der UELCI in Indien

Herr Ratnaraj, Sie arbeiten für die United Evangelical Lutheran Church (UELCI) in Indien. Was genau ist die UELCI und was sind ihre Aufgaben?

Die Vereinte Ev.-Luth. Kirche in Indien (UELCI) ist der Dachverband für 12 Lutherische Kirchen in Indien, die mit einer Gesamtmitgliederzahl von 4,5 Millionen Menschen über ganz Indien verteilt sind. Der Lutherischen Gemeinschaft in Indien gehören überwiegend Dalits und Adivasis an, also Kastenlose und Angehörigen der indigenen Völker Indiens. Jede der Mitgliedskirchen hat eine kulturelle und historische Prägung mit unterschiedlichen Missionsgeschichten. Die UELCI steht für die gemeinsamen Interessen der Lutheraner in Indien ein. Sie unterstützt ihre Mitgliedskirchen auch in ihren Partnerschaften mit unterschiedlichen historischen Missionsgesellschaften weltweit. Darüber hinaus repräsentiert sie die lutherischen Kirchen in einigen nationalen christlichen Foren. Das schließt auch Lobby- und anwaltschaftliche Arbeit für die Rechte und die Freiheit der lutherischen Gemeinschaft in Indien ein.

Welche Position bekleiden Sie in der UELCI und mit welchen Aufgaben sind Sie dort betraut?

Ich bin dort der Direktor der Abteilung für soziales Engagement („Social Action“) und koordiniere in dieser Funktion das Programm für Konflikttransformation und Friedensbildung. Außerdem beaufsichtige ich die Implementierung aller Projekte der UELCI, einschließlich der Notfallhilfen und humanitären Arbeit. Ferner bin ich verantwortlich für die Projektplanung, die Umsetzung und das Monitoring der Projekte, die unter dem Dach der UELCI umgesetzt werden. Die Kommunikation und das Berichtswesen liegen auch bei mir. Zusätzlich unterstütze ich die Mitgliedskirchen darin, Schulungen und Kapazitätsentwicklung („Capacity Building“) durchzuführen. Darunter fallen z.B. Fortbildungen im Bereich Projektplanung, Berichtswesen, Projektumsetzung, Monitoring und Evaluation.

Wie ist die Situation der (Lutherischen) Christ*innen in Indien? Welches sind die größten Herausforderungen, denen sich die Kirchen und damit auch die UELCI derzeit gegenübersieht?

Unter den derzeit 1,4 Milliarden Menschen in Indien, sind gerade einmal 2,3 % Christ*innen. Die Lutheraner*innen machen insgesamt nur 0.7 % aus. Die christliche Gemeinschaft in Indien ist religiöser Diskriminierung und wachsender Intoleranz ausgesetzt, die leider auch zu Gewaltakten, Vandalismus in Kirchen und Verfolgung christlicher Gemeinden führt. Das ist gerade erst auf erschreckende Weise im Bundesstaat Manipur deutlich geworden.

Soziale und ökonomische Ausgrenzung setzen die Christ*innen zusätzlich unter Druck, da sie im Zugang zu Bildung, Beschäftigung und öffentlichen Dienstleistungen benachteiligt werden. Erschwerend kommen Versuche erzwungener Bekehrung zum Hinduismus und die sog. Anti-Konversionsgesetzgebung, die in manchen Bundesstaaten die christliche Taufpraxis erheblich einschränkt und kriminalisiert, hinzu. Das alles erzeugt unter den Christ*innen in Indien ein Gefühl der Unsicherheit. Es engt die Spielräume für das Wachsen von christlichen Gemeinden ein und schränkt Christ*innen ein, am gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Leben in Indien teilzunehmen.

Was erwarten Sie für die Zukunft der christlichen Minderheit in Indien?

Die Einführung eines Nationalen Meldewesens (National Register of Citizens NRC) und eines neuen Gesetzes zum Bürgerschaftsrecht (Citizenship Amendment Act CAA) haben große Sorgen und Befürchtungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Minderheiten in Indien ausgelöst. In der Tendenz drohen indische Staatsbürgerrechte aufgrund von religiöser Angehörigkeit eingeschränkt zu werden. All diese Entwicklungen haben ein feindliches gesellschaftliches Klima gegenüber Christ*innen (und Muslim*innen) erzeugt und erhebliche Sorgen im Blick auf die Zukunft der christlichen Gemeinden und ihrer Freiheitsrechte in Indien wach werden lassen.

Dazu kommen die Probleme mit dem „Foreign Contribution Regulation Act“ (FCRA), das den Empfang von ausländischen Geldern auf Konten indischer Nichtregierungsorganisationen regelt. Die Regularien sind in den letzten Jahren immer wieder verschärft worden, was erhebliche Auswirkungen auf die Kirchen und ihre sozialen Organisationen in Indien hat. Viele ihrer FCRA-Konten sind eingefroren oder sogar suspendiert worden, was die Projektarbeit mit internationalen Partnern nicht nur erschwert, sondern oft ganz unmöglich macht. Gerade Projekte zugunsten der Dalits und Adivasis im Bereich Bildung, Diakonie und Einkommensschaffung sind davon betroffen. Die Blockade dieser FCRA-Konten hat viele Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in ihrer Projektarbeit gelähmt, da es so nahezu unmöglich wird, an die nötigen Finanzen zu gelangen, um die Projektarbeit fortzusetzen.

Was sollte Ihrer Ansicht nach die Rolle der internationalen Partner angesichts der von Ihnen geschilderten Verhältnisse in Indien sein? Welche Erwartungen und Hoffnungen haben Sie, wenn sie an Ihre Partner denken?

Die UELCI bittet ihre internationalen Partner dringend darum, an der Seite der Lutherischen Kirchen in Indien zu stehen und Solidarität zu zeigen. Nur zusammen können wir den marginalisierten Gruppen, insbesondere den Dalits und Adivasis, in Indien zur Seite stehen und sicherstellen, dass sie auch in Zukunft die Unterstützung bekommen, die sie dringend benötigen.

Internationale Partner können hier eine entscheidende Rolle spielen in der Unterstützung christlicher Organisationen in Indien. Das kann zum einen bedeuten, sich stärker der Advocacy-Arbeit im Sinne der Universalen Erklärung der Menschenrechte der UN zu widmen und gemeinsam mit anderen daran zu arbeiten, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass dem Schutz von Religionsfreiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz eine zentrale Bedeutung zukommt.

Zum anderen ist es wichtig, moralische Unterstützung zu leisten durch ermutigende Worte und Botschaften der Solidarität und durch Gebete. Das kann die Widerstandskraft der christlichen Gemeinschaften und Organisationen in Indien stärken. Gesten der Solidarität vermitteln uns ein Gefühl der Wertschätzung und Anerkennung inmitten all der Widrigkeiten, die wir gerade durchleben. Indem wir zusammenstehen und die Stimmen der christlichen Organisationen und der internationalen Partner vereinen, können wir hoffentlich dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, das religiöse Toleranz und Respekt vor den Menschenrechten befördert.

Herr Ratnaraj, vielen Dank für Ihren Besuch und das Interview.

Ich bedanke mich auch für die Einladung und den warmen Empfang im ZMÖ durch ihre Mitarbeitenden. Vielen Dank auch für die Unterstützung unserer Arbeit durch das ZMÖ und die Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland.


Das Interview führte Jörg Ostermann-Ohno, Indienreferent des ZMÖ