Gedanken zur Zeit im September 2023: Unkraut – es wächst und gedeiht überall

„Du musst dringend das ganze Unkraut rupfen“ hörte ich vor ein paar Wochen eine Freundin unverblümt sagen, als sie meinen verwucherten Garten musterte. Unkraut – es wächst und gedeiht überall. Während mein Unkraut im Garten sprießt, gehen meine Rosen ein, die Gurke möchte auch nicht wachsen, und die ausgesäten Sonnenblumenkerne sind mittlerweile wohl Vogelfutter. Unkraut – ein Wort, dass ich seit meiner Kindheit kenne, doch sobald ich im eigenen Garten stehe, weiß ich nur bedingt, was das eigentlich bedeutet. Finde ich etwas schön, lasse ich es wachsen. Ich lasse vermutlich viel zu viel wachsen.

Ich erinnere mich oft daran, dass Brennnesseln wahnsinnig wichtig für Insekten und Vögel sind. Ebenso geht es auch dem Löwenzahn, dem Klee und vielen anderen wundersamen Pflanzen. Also lieber mal wachsen lassen. Unkraut ist schließlich viel mehr als nur das unerwünschte Grünzeug zwischen den wohlplatzierten Blumenstauden. Unkraut hält den Boden zusammen, kann vor Starkregen und Erosion schützen. Dennoch reißen wir es raus.

In den schön hergerichteten Vorgärten des nordfriesischen Flachlandes ist ein gepflegter Garten synonym für das-Leben-im-Griff-haben, das muss ich häufig lernen. Mein Nachbar schneidet regelmäßig meine Gartenhecke, da ich es verwuchert schöner findet. Er nicht. Die netten Renter*innen erfreuen sich jeden Tag, wenn sie mich doch mal im Garten erwischen. Das Unkraut muss ja schließlich ausgerissen werden, Blumen gepflanzt werden. Ja, Unkraut scheint hier im wohlbehüteten Nordfriesland der allsommerliche Endgegner zu sein.

Doch wie gesagt, Unkraut ist viel mehr als das – und auch wenn wir mit allen Mitteln dagegen vorgehen, kommt es jedes Jahr wieder. Voller Hoffnung, dieses Jahr als gleichberechtigtes Mitglied der Gartenbepflanzung wahrgenommen zu werden. Wie sehr wünsche ich mir oft dieses Durchhaltevermögen. Diese Kraft, es jedes Jahr aufs Neue zu versuchen. Denn Unkraut, so ungern wir es auch in unseren Gärten sehen, so lästig es auch sein mag, ist ein wichtiger Bestandteil des Gartens.

Auch wir haben selbstbetiteltes Unkraut in unserem Leben. Themen, mit welchen wir uns nicht auseinandersetzen wollen, die wir konsequent aus dem Blickfeld entfernen. Doch vielleicht ist manchmal ein genauerer Blick wertvoll. Denn die Themen kommen wieder, können nicht einfach durch rausreisen beseitigt werden. Es bedarf Zeit und Offenheit, sich diesen zu stellen. Und auch wenn das Leben dann von Zeit zu Zeit etwas chaotisch wirkt – wie ein verwilderter Garten im nordfriesischen Flachland – so kann dieses betitelte Unkraut das Leben auf vielfältigste Weise bereichern. Ich für meinen Teil möchte dem Unkraut in meinem Leben hin und wieder eine Chance geben. Vielleicht erwächst daraus ja etwas Schönes, etwas, was mich stärkt und kräftigt.


Charlotte Spingler, Referentin für Ökumenische Jugendspiritualität