Gedanken zur Zeit im November: Sei a mentsch

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!
Römer 12,21

Das ist der Wochenspruch für den Sonntag nach Trinitatis. Aber was ist das Böse eigentlich? Mir kommt dabei die Philosophin Hannah Arendt in den Sinn. Sie hat viel über das Böse nachgedacht und geschrieben, alles im Lichte der Shoa und der der Frage des Umgangs mit ihr. Sie hat einen Begriff geprägt: Die Banalität des Bösen.

Die Banalität sah Hannah Arendt darin, dass das Böse von ganz normalen Menschen verübt wird, dass keine Monster oder Teufel am Werk sind. Das macht das Böse so erschreckend, da es wohl in allen angelegt zu sein scheint. In der Banalität liegt mit Paulus Worten vielleicht die Gefahr, dass das Böse einen überwindet. Was also ist das Böse? Aus meiner Sicht das Menschenverachtende, Inhumane, die Irrwege oder die Entmenschlichungen, sei es im Krieg oder in faschistischen Systemen.

Demgegenüber stehen die Menschlichkeit und die Menschenwürde. Wir können dieses mehr oder weniger religiös aufgeladen formulieren – ich ziehe für mich aus der unbedingten Gottebenbildlichkeit alles Kreatürlichen meinen Glauben. Denn „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“

Ich spreche leider nicht jiddisch, die Umgangssprache der Jüdinnen und Juden in Europa über fast 1000 Jahre und, wie ich finde, ein poetisches Gemisch aus vielen Sprachen.

Paulus sagt: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem! Ein jiddischsprachiger Mensch schafft diesen Satz mit nur drei Wörtern: „Sei a mentsch!“ Mentsch – da steckt deutlich mehr drin als beim Menschen ohne t! Ein Mentsch ist eine aufrechte, anständige, ehrliche Person, sie ist Vorbild, edel, jemand mit Respekt und Würde, der auch dem Gegenüber mit Respekt und Würde begegnet.

Das Beste, was man jemandem sagen kann, ist, dass er ein Mentsch ist! Lasst uns versuchen, mentsch zu werden, mentsch zu sein.


Pastor Tobias Pfeifer, Beauftragter für den christlich-jüdischen Dialog und Referent für den Mittleren Osten