Gedanken zur Zeit im März: Wenn ein Name mit Bleistift geschrieben ist

Bashir wurde auf der Flucht aus Afghanistan im Iran geboren. Dort wurde er eingeschult. Die Namen der Kinder wurden im Klassenbuch eingetragen – mit Tinte. Nur sein Name wurde mit Bleistift geschrieben, weil er ein Flüchtlingskind war, weil er nicht dazu gehörte. Wenn er weg sein würde, sollte man seinen Namen leicht aus dem Klassenbuch ausradieren können mit allem, was mit ihm verbunden war.

Nach einiger Zeit wurde sein Name wegradiert. Seine Familie zog nach Afghanistan zurück. Er kam dort in die Schule. Jetzt war er in seinem Land, und sein Name wurde mit einem Füller geschrieben. Kaum war die Tinte getrocknet, kamen die Taliban wieder an die Macht, und die Familie floh wieder. Ich traf Bashir in Litauen.

Als er mir seine Geschichte erzählt hatte, sagte er: Ich bin froh, dass mein Name damals mit Bleistift geschrieben wurde. So habe ich schon früh gelernt, dass die Identität etwas Lebendiges ist, sie verändert sich, muss immer neu gesucht und gefunden werden. Meine Klassenkameraden in Iran hatten das schwerer als ich: ihre Identität wurde von Anfang an festgeschrieben.

Wenn meine Identität festgeschrieben ist, kann sie nicht verhandelt und verändert werden. Ich muss sie mit aller Kraft verteidigen gegen die anderen, die meinen Lebensraum einnehmen und meine Identität bedrohen, indem sie ihre Namen und ihr Lebensgefühl in mein Klassenbuch schreiben.

Auch wir leben in einer Gesellschaft, die gern mit Tinte schreibt und die an das Geschriebene glaubt. Aussagen, Gefühle, Gedanken und Visionen werden aufgeschrieben, festgehalten, wieder hervorgeholt, zitiert und archiviert. Auch die Veränderungen müssen am besten schriftlich beantragt und festgehalten werden. Wie viel Lebendigkeit bleibt noch in den Prozessen, von denen wir uns die Wandel ersehnen? Wie wäre es, wenn wir anfingen, mit dem Bleistift zu schreiben, damit unsere Konzepte und Identitäten durchlässiger für Veränderungen würden? Und wenn wir unsere Visionen von Frieden und Gerechtigkeit nicht gleich festschreiben würden, sondern uns gegenseitig erzählen und korrigieren lassen, damit ein Raum entstünde zum Leben für jede*n?


Pastorin Zanda Ohff, Europareferentin