Die Teezeremonie – ein chinesischer Weg der Verkündigung

Teezeremonie in China

Der Chinesische Christenrat, mit dem die Nordkirche seit seiner Gründung 1981 enge freundschaftliche Kontakte pflegt, bemüht sich darum, das evangelische Christentum in China stärker in die eigene Kultur zu integrieren und ihm den Beigeschmack des Westlichen, Fremden zu nehmen. In den Kirchen sollen zum Beispiel mehr selbst komponierte Lieder gesungen werden, die Auslegung biblischer Texte darf gerne Vergleiche zu chinesischen klassischen Texten enthalten und auch bei der Verkündigung wird mit neuen Formaten experimentiert. Eine davon ist die Teezeremonie.

Pastor Dr. Gao, stellvertretender Präsident des nationalen Christenrates, ist der Ansicht: „Tee, der seit langer Zeit in das Leben der breiten Öffentlichkeit integriert ist, fungiert als Vehikel für Kernwahrheiten und Ethik des christlichen Glaubens. Gleichzeitig hat Tee den Effekt, bestehende Vorurteile über den christlichen Glauben zu beseitigen und die chinesischen Christen dabei zu unterstützen, Gott noch besser zu erkennen, ihren Glauben auszudrücken und Christus zu bezeugen.“ Die herausragende Bedeutung der Teezeremonie – wörtlich: Cha Dao oder „Weg des Tees“ wird von Pastor Gao folgendermaßen erklärt:

„Der Grund für die Liebe chinesischer Menschen zum Tee liegt nicht nur darin, dass Teetrinken wohltuend ist, sondern noch mehr in seinem zeremoniellen Charakter. Tee hat seine Wurzeln in China, der Ursprung der Teezeremonie liegt ebenso in China. „Cha Dao“ repräsentiert für chinesische Menschen ein komplexes System gedanklicher Doktrin, welches die Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten des Universums und des Lebens beschreibt.

In China verwendet man, anders als in Japan, nicht so leicht den Begriff Dao im Sinne von Zeremonie. Während es in Japan ein Dao zur Teezubereitung, zum Blumenstecken, zum Verbrennen von Weihrauch, zur Führung eines Schwertes, Judo, Wrestling und Taekwondo gibt, gibt es in China nur das Dao der Teezeremonie.“
Herr Gao glaubt, dass sich in der Teekultur Eigenschaften ausdrücken, die sowohl für chinesische Menschen als auch für die Botschaft des Evangeliums übereinstimmen. Er führt aus, dass „die Anpassungsfähigkeit und Vielseitigkeit des chinesischen Tees der Grund dafür ist, warum seine emotionale Aura und sein Wesen mit der allgemeinen Lebensrealität des chinesischen Volkes übereinstimmen; mit einer Nation, die Wert auf harmonisches Miteinander legt, Gastfreundschaft wertschätzt und die von einem Geist des Fleißes, der Sparsamkeit, Bildung und Tugendhaftigkeit durchdrungen ist, mit Respekt vor dem Alter und Liebe zur Jugend.“

Hier die praktische Umsetzung einer Evangelisations-Teezeremonie, die von Pastor Dr. Gao mit einer Gruppe seiner Gemeinde entwickelt wurde:

  • Tiefes Durchatmen; stilles Gebet bei leiser Musik; zur Ruhe kommen.
  • Der Leiter des Treffens erläutert das Hauptthema: „Glaube, Hoffnung, Liebe“. Die Tee zubereitende Person wird mit ihrer Assistenz (in der Regel sind es zwei Assistenten) vorgestellt.
  • Das Taizé-Lied „Lobe den Herrn“ wird gesungen, meditiert und gebetet.
  • Die verantwortliche Person beginnt mit der Teezubereitung. Der Leiter erklärt die Besonderheiten des Tees, seine Wirkung, seinen Geschmack u.a.; der Gruppe wird die aufrechte Sitzposition während des Teetrinkens erläutert (der Rücken ist gerade, beide Hände vor dem Unterbauch ineinandergelegt), die Haltung der Tasse (Daumen, Zeige- und Mittelfinger halten die Tasse, der Ringfinger hält den Tassenboden) und wie der Tee getrunken wird (mit kleiner Mundöffnung schlürfen und in drei Zügen die Tasse leeren). Die Tee-Assistenten verteilen Tassen an alle und schenken ein.
  • Nach dem Leeren der ersten Tasse rezitiert der Leiter aus „Sieben Schalen Tee Gedichte“. (…) Eine halbe Minute Stille, den Geschmack wirken lassen. (Dieser Ablauf wiederholt sich bei insgesamt sieben Tässchen Tee, zwischendurch Bibellesungen, Taizélieder, kurze Stillezeiten)
  • Zeit für freien Austausch. Alle Teilnehmer teilen ihre Reflektionen zum Hauptthema des Treffens „Glaube, Hoffnung, Liebe“.
  • Die leitende Person gibt eine Zusammenfassung.
  • Zwei motivierte Teilnehmende werden gebeten, die Gruppe im Gebet zu führen.  
  • Am Schluss gehen alle in Stille bei leiser Musik.

Wie ungewöhnlich ein Ansatz wie dieser in China ist, dem Land, in dem Loyalität, Tradition und Auswendiglernen mehr eingeübt werden als Kreativität, Experimentierfreudigkeit und das Finden eigener Lösungswege wird auch im Fazit von Pastor Gao deutlich: „Die Kombinationsmöglichkeiten und Erkundungsansätze im Bereich Christentum und Tee-Kultur sind vielfältig und herausfordernd. Es muss den Ersten geben, der sich traut, Krabben zu essen. Sonst werden wir immer nach vorne und hinten sehen und im alten Fahrwasser weitertreiben, ein schlechtes Imitat sein und werden nie eine chinesische Kirche mit einer eigenen Theologie haben.“

Alle Zitate wurden von Isabel Friemann aus dem Chinesischen übersetzt. Pastor Gao hat am Lutherischen Seminar in Hongkong einen Doctor of Ministry zu einer Forschungsarbeit mit praktischem Bezug erhalten. Hier werden auf ausdrücklichen Wunsch des Autors Hauptgedanken seiner Arbeit wiedergegeben.  Quelle: Gao, Ming, Chawenhua yu Jidujiao Zhongguohua, Tea Culture and the Sinicization of Protestant Christianity, Beijing 2020.