Deutschland entwickelt sich zunehmend zu einem religionsdiversen Land. Das zeigen die Ergebnisse der Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein der Universität Kiel: Danach beurteilen 77,9% der Religionslehrkräfte ihre Lerngruppen als religiös sehr unterschiedlich (http://www.revikor.de/). Von großer Bedeutung für die Ausgestaltung dieser Unterschiedlichkeit ist ihre Einschätzung, dass religiöse Vielfalt mehr Chancen als Schwierigkeiten bietet. Die Nordkirche hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, aus ihrem evangelischen Glaubensverständnis heraus den Dialog mit Vertreter*innen anderer Religionen gleichberechtigt und dialogisch gestalten. Dazu möchte sie die Fähigkeit zur Interpretation, zum Dialog und zur Zusammenarbeit unterstützen, die eigene religiöse Position schärfen, Andersdenkende verstehen und die gemeinsame Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft vertiefen. (https://schule.pti.nordkirche.de/fileadmin/nordkirche/pti-schule/aktuelles/Vokation/Grundsaetze_RU-Nordkirche.pdf)
Für den Christlich-Islamischen Dialog hat sie das beispielhaft 2006 in der Synodenerklärung „In guter Nachbarschaft“ getan. (https://weltweit.nordkirche.de/fileadmin/user_upload/zmoe/media/InterreligioeserDialog/christlich-islamischerDialog/Gute_Nachbarschaft_leben_pdf.pdf) Hier finden sich neben Best Practice-Beispielen für interreligiöse Veranstaltungen in Diensten, Werken und Gemeinden auch eine Einführung in islamische Glaubensvorstellungen und muslimisches Leben in Hamburg.
Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass muslimisches Leben in Deutschland oftmals verzerrt wahrgenommen wird. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos wurde zufällig Ausgewählten die Frage gestellt, der wievielte Einwohner in Deutschland ein Muslim oder eine Muslimin ist.(https://www.ipsos.com/de-de/studie-zur-kluft-zwischen-wahrnehmung-und-wirklichkeit-deutsche-schatzen-soziale-realitaten-haufig) In der Wahrnehmung der Befragten ist jede/r fünfte Bundesbürger*in (21%) muslimisch. Der tatsächliche Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht aber mit lediglich 4% nicht einmal einem Fünftel dieses Schätzwertes. Nur in sieben von insgesamt 37 untersuchten Ländern irren sich die Menschen in dieser Frage noch stärker. Jede fünfte Person wären 21% der Bevölkerung, also etwa 17 Millionen Menschen. Eine massive Fehleinschätzung. Tatsächlich sind es 4,4 bis 4,7 Millionen, sagen dagegen neue Studien. (http://www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DE_nvam/Publikationen/WorkingPapers/wp71-zahl-muslime-deutschland.pdf?__blob=publicationFile)
Für christlich-muslimische Begegnungen ist es nicht nur von großer Bedeutung, mit welchen gesellschaftlichen Bildern die jeweiligen Dialoge einhergehen. Es ist auch wichtig, wie die eigene religiöse Haltung gegenüber anderen Religionen ist. Eine exklusive Haltung geht davon aus, dass es nur eine wahre Religion gibt – und das ist in der Regel die eigene. Hier wird ein klarer religiöser Standpunkt markiert. Allerdings neigt diese Position dazu, andere Offenbarungen bzw. Religionen auszuschließen. Eine inklusive Haltung beruht auf der Vorstellung, dass es mehrere Religionen mit einem berechtigten Wahrheitsanspruch gibt – wobei die eigene Religion alle anderen Religionen umgreift und ihnen damit letztlich in der Wahrheitsfrage überlegen ist. Der Vorteil dieser Position ist, dass niemand vom Heil ausgeschlossenen wird. Allerdings neigt sie dazu, andere Standpunkte und Offenbarungen zu vereinnahmen. Die pluralistische Position gesteht verschiedenen Religionen in gleicher Weise Wahrheitserkenntnis und damit Gültigkeit zu. Sie ist tolerant gegenüber anderen Offenbarungen und Religionen. Allerdings neigt sie dazu, Wahrheit als beliebige oder individuelle Größe zu betrachten. Eine Lösung könnte darin bestehen, die drei Aussagen nicht als Widersprüche zu begreifen, sondern als drei Aspekte der Begegnung mit anderen Religionen: Danach kann der glaubende Mensch, wenn es um die eigene Gewissheit geht, exklusiv urteilen, im Hinblick auf die Möglichkeit des Heils für Menschen anderer Religionen inklusiv denken und sich im Hinblick auf das Zusammenleben in der Weltgeschichte plural orientieren.