Wenn wir uns anschauen wollen, was in Deutschland gut und was schlecht läuft, dann ist der internationale Vergleich ein geeignetes Mittel. Häufig gilt der erste Blick anderen Industrienationen in Europa oder Nordamerika.
Dabei verlieren wir oftmals aus den Augen, dass auf den ersten Blick weniger stark entwickelte Länder in einzelnen Themenbereichen oftmals viel weiter sind als wir in Deutschland. Ein häufig in den Medien präsentes Beispiel ist Bhutan mit dem Bruttonationalglück als wichtiger Indikationsfaktor für das gesellschaftliche Wohlergehen. Aber auch lateinamerikanische Länder können uns in Deutschland in vielen Bereichen ein Vorbild sein!
Im Folgenden will ich anhand einiger Beispiele aus meinen Erfahrungen in Uruguay zeigen, dass unser europäisch verengter Blick langfristig davon ablenken kann, neue und bereichernde Erfahrungen zu machen. Am Beispiel Uruguays lässt sich gut zeigen, wie funktionierende Konzepte aus anderen Teilen der Welt hilfreiche neue Perspektiven aufzeigen können.
Digitalisierung in Schulen
Uruguayische Schulen konnten während des Corona Lockdowns sehr flüssig auf Homeschooling umstellen. Eine Voraussetzung war ein Schulentwicklungsprogramm, das bereits vor fast 15 Jahren aufgelegt wurde: Jede:r Schüler:in bekommt einen Laptop oder ein Tablet-Computer. Sie werden gratis von der Schule bereitgestellt und in Stand gehalten. Die Umstellung wird von einem ganzheitlichen Konzept begleitet: Es gibt digitale Schulbücher, interaktive Online-Anwendungen, spielerische Lernplattformen und Lehrvideos. Lehrkräfte werden schon im Studium auf digitale Arbeitskontexte hin ausgebildet. Das Fach „pensamiento computacional“ unterstützt zusätzlich die Digitalkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Digitale Kompetenz werden aber nicht erst in der Schule erlernt, auch bei uns im „Club de Niños“ arbeiten wir mit Kindern und Eltern zum Thema Sicherheit im Netz und bei Social Media.
Das Konzept hat natürlich auch seine Defizite, beispielsweise lernen die Kinder kein 10-Finger-Tippsystem. Es wird darauf wertgelegt, dass sie in der Schule noch per Hand und auf Papier schreiben. Der Laptop wird vielmehr als Unterstützung für die Lehrkraft, Lexikon oder Duden benutzt. Viele Schüler:innen tippen deshalb sehr langsam mit zwei Fingern.
Videokonferenzen sind nicht erst seit Corona ein wichtiges schulisches Instrument. Auch in regulären Schuljahren werden einige Fächer online unterrichtet. Dabei sitzt die Lehrkraft für bestimmte Fächer in der Hauptstadt Montevideo und wird vor Ort von der Klassenlehrerin unterstützt. Deshalb war der Umstieg während der Pandemie relativ einfach, weil Vorgänge und Plattformen bekannt und regelmäßig genutzt waren. Ein unerwartetes Problem kam aber auf: In Schulen gab es zwar freie W-LANs, viele Familien hatten aber zu Hause keine digitalen Anschlüsse. Stattdessen nutzen viele aufgrund der günstigen Internetverträge ihre Handys mit mobile Datentarifen – die aber in der Pandemie schnell aufgebraucht werden. Eine Lösung bestand darin, dass viele Nachbarn ihre W-LAN-Passwörter in ihre Fenster hängen mit der Notiz: „Für Hausaufgaben!“
Während in Deutschland also noch mit Overhead-Projektoren und Computerräumen experimentiert wird, ist Uruguay schon bedeutend weiter. Wer sich weiter zu dem Thema informieren will, ist dieser Spiegelartikel zu empfehlen.
Energieversorgung Uruguays
Uruguay bezieht 98% seines Energiemixes aus erneuerbaren Energien. Dazu hat es aber auch sehr gute Bedingungen: Mit dem Rio Uruguay und Rio Negro hat das kleine Land zwei sehr große, günstig gelegene Flüsse für Wasserkraftwerke, es hat viele Sonnenstunden und an der Küste ist es häufig windig.
Das Land konnte durch die Umstellung der Energieversorgung seine Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland verringern. Außerdem schaffte es entsprechende Studiengänge an den Universitäten. Durch die Kompetenzen wurden neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein spannender Beitrag dazu ist bei der Deutschen Welle zu hören.
Die Umstellung der Energieversorgung spielt auch im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel eine große Rolle. Nicht nur, weil die Energieerzeugung selbst einen großen Teil ausmacht, sondern auch weil sie sich auf so viele andere Bereiche auswirkt. So heizen die meisten Haushalte in Uruguay mit Klimaanlagen, die im Sommer kühlen und im Winter wärmen. Diese werden jetzt auch mit grünem Strom betrieben. Auch für die Verkehrswende spielt es eine große Rolle, wie der Strom für E-Fahrzeuge erzeugt wird. Hier hat Uruguay also einen großen Schritt in Richtung Zukunft gemacht, der in Deutschland deutlich behäbiger ist und viel später begann.
Es gibt aber auch viele, auf den ersten Blick kleinere Dinge, die in Uruguay sehr fortschrittlich sind (einfach mit Pfeiltasten nach rechts scrollen):
Uruguay ist also ein gutes Beispiel für Länder, die in bestimmten Bereichen bereits sehr fortschrittlich sind, deren Vorbildfunktion in Europa aber nahezu gänzlich unbekannt ist. Das ändert natürlich insgesamt nichts daran, dass Deutschland in vielen Aspekten in internationalen Vergleichen deutlich höher abschneidet. Insbesondere die wirtschaftliche Lage ist insgesamt sehr viel höhe. Allerdings sind gerade Digitalisierung, Energieversorgung und das Gesundheitssystem Beispiele dafür, dass es auch in Deutschland in vielen Bereichen großen Verbesserungsbedarf gibt.
Dies war der letzte Blogeintrag, den ich während meines Auslandsjahres geschrieben habe. Herzlichen Dank fürs Lesen!