Feliz Natal statt Frohe Wiehnacht

Es ist mal wieder so weit. Mittlerweile sind vier Monate vergangen und ich sitze wieder vor dem Laptop und versuche die vergangene Zeit zu Papier zu bringen. Was mir als erstes einfällt, wenn ich die letzten Wochen nochmal im Kopf durchgehe, sind die Wetterextreme, welche sich, nachdem ich mein letztes Update-Schreiben beendet habe, nur noch verschlimmert haben. Besonders der Regen ist häufiger und langanhaltender geworden. Die Konsequenzen waren in der ganzen Stadt zu spüren. Vor allem Seen und Flüsse sind über die Ufer getreten und haben Parks und Straßen teilweise unter Wasser gesetzt. Doch nicht nur einzelne Parks und Straßen waren betroffen, sondern auch ganze Wohnsiedlungen sind nicht verschont geblieben. Das Viertel Bonfim der Stadt Almirante Tamandare, aus welchen die meisten Kinder und Jugendlichen meines Projektes kommen, wurde ebenfalls in weiten Teilen überflutet und über Nacht wurde das Projeto Dorcas von einem Ort des Lernens zu einem Wohnort für diejenigen umfunktioniert, die erstmal nicht in ihre Häuser zurückkehren konnten. Gleichzeitig wurde ein Spendenaufruf gestartet für alles, was vom Wasser mitgenommen oder zerstört wurde. Kleidung, Matratzen und Essen wurden gesammelt und auch eine Versorgung mit Reinigungsmitteln und Hygieneartikeln konnte zeitnah erfolgen. In Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen konnten die Menschen, die in den Räumlichkeiten des Projektes wohnen mussten, in weniger provisorische Unterkünfte umziehen. So gelang es uns nach wenigen, aber Nerven aufreibenden Tagen den Normalbetrieb wieder aufzunehmen.

Spenden sortieren im Projekt

Auch ich konnte danach wieder zu meinen üblichen Aufgaben zurückkehren. Inzwischen ist zu meinen bisherigen Aufgaben noch eine weitere dazugekommen: Ich habe angefangen, Deutsch zu unterrichten. Immer mittwochs und freitags versuche ich also drei Brasilianern eine Sprache beizubringen, mit der sie vorher noch nie in Berührung gekommen sind und die selbst für Muttersprachler nur selten logisch zu sein scheint. Und was soll ich sagen, es läuft soweit ganz gut. Natürlich stehen wir noch sehr am Anfang und es scheint mit der Zeit nur komplizierter als einfacher zu werden. Doch noch haben die Jungs Lust und gehen die Sache motiviert und humorvoll an.
Ab nächstem Jahr soll es ein Austauschprogramm von Brasilien aus dem Projeto Dorcas nach Deutschland geben und meine drei Schüler sind die ersten, die entsendet werden. Es ist also auch ein persönliches Anliegen für mich sie gut vorzubereiten, denn ich weiß selbst nur zu gut, wie schwierig es ist, in einem fremden Land anzukommen und die Sprache erst noch lernen zu müssen. Ich bin schon gespannt, welche Fortschritte wir zusammen machen werden und was sie in Deutschland erleben werden.

Doch eine Sache ändert sich auch auf dieser Seite der Welt nicht: Plötzlich steht Weihnachten einfach so vor der Tür. Während mir aus Deutschland von den ersten Schneefällen berichtet wird, sitze ich in T-Shirt und kurzer Hose im Aufenthaltsraum der Theologischen Fakultät in Curitiba (meinem Zuhause in Brasilien).  Der Kontrast zu einer mir bekannten Vorweihnachtszeit könnte nicht größer sein. Es ist nicht kalt, ich bin nicht umgeben von Freunden und Familie und der übliche Klausurenstress, der einem sonst immer diese Zeit ein bisschen vermieste, gehört auch der Vergangenheit an. Allerdings ist für die Kinder und Lehrer im Projekt noch nicht die Zeit sich zurückzulehnen. Denn dieses Jahr haben viele Sponsoren des Projektes die Vorweihnachtszeit zum Anlass genommen, die Kinder einzuladen um bei ihnen Konzerte zu geben. Beispielsweise hat VW als Großsponsor in eine seiner Fabriken eingeladen. Neben dem Konzert und netten Worten gab es zusätzlich noch eine Führung durch die Produktionshallen und einen interessanten Einblick hinter die Kulissen.

Bei Volkswagen

Doch für die Lehrer und Mitarbeiter des Projektes bedeuteten nicht nur die Konzerte Hektik in der Vorweihnachtszeit, auch eine Geschenkaktion für die Kinder musste geplant und vorbereitet werden. Der Wunsch war es alle Kinder nach dem letzten Konzert mit einem neuen Paar Schuhen zu überraschen. Also wurde über‘s Internet erneut ein Spendenaufruf verbreitet und kurze Zeit danach wurden wieder Spenden gesammelt, verpackt und vor neugierigen Augen versteckt. Nach dem letzten Konzert bekam jedes Kind als erstes Weihnachtsgeschenk die neuen Schuhe und damit ging auch der offizielle Teil des Projeto Dorcas zusammen mit dem Schuljahr 2023 zu Ende.

Bescherung

Nur meine Chefin Darclê konnte sich noch nicht entspannt zurücklehnen, denn sie hatte uns alle zu einer Weihnachtsfeier zu sich nach Hause eingeladen. Ich war also zu meiner ersten Arbeits-Weihnachtsfeier eingeladen und damit vermutlich auch direkt auf die, die mir am längsten in Erinnerung bleiben wird. Wie bereits erwähnt hat Weihnachten hier nicht viel mit dem zu tun, was man in Deutschland gewohnt ist. Es gibt kühles Bier statt Glühwein, man sitzt nicht im Haus um den Weihnachtsbaum, sondern draußen im Schatten der aufblühenden Bäume und statt Schneefall gibt es manchmal einen angenehmen Sommerregen und ab und zu Gewitter. Glücklicherweise sind wir bei der Weihnachtsfeier von schlechtem Wetter verschont geblieben und konnten so unser Churrasco (eine Art brasilianisches BBQ) bei 30 Grad Celsius in vollen Zügen genießen. Zum Abschluss wurde noch ein bisschen Bingo gespielt und für die Gewinner gab es natürlich auch Geschenke. Nebenbei habe ich versucht, ein bisschen Lübecker Kultur mit einzubringen, indem ich Marzipan mitgebracht habe und bin damit auf starke positive Resonanz gestoßen. Anders als das letzte Mal, als ich deutsche Süßigkeiten mitgebracht habe: Fairerweise muss ich zugeben, dass vermutlich auch in Deutschland mehr Menschen Marzipan mögen als Salzlakritz ;).

Für mich geht es jetzt erstmal über Weihnachten nach Padilha. Dort wollte ich mich mit den anderen drei Brasilien-Freiwilligen treffen (Joni, Julia und Moritz). Wenn man Weihnachten schon nicht mit der Familie feiern kann, dann doch wenigstens mit Freunden. Gerade weil die gesamte Weihnachtszeit sehr ungewöhnlich ist, freue ich mich schon auf das Fest und bin froh diese Erfahrungen machen zu können.

Mit herzlichen Grüßen und den besten Wünschen für das neue Jahr

Jonathan Carstens  

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