Und plötzlich ist alles vorbei

Ende April besuchten mich meine Eltern zum zweiten Mal in Indien, was mir erneut eine sehr schöne und bereichernde Zeit bescherte. Gemeinsam reisten wir unter anderem in die Stadt Varanasi – ein Ort, der mir mit Abstand den größten Kulturschock meines bisherigen Lebens bescherte.

Varanasi, auch bekannt als Benares oder Kashi, gehört zu den ältesten ununterbrochen bewohnten Städten der Welt und gilt als die heiligste Stadt im Hinduismus. Sie liegt am Ufer des Ganges, dem heiligsten Fluss der Hindus, und ist ein bedeutendes spirituelles und religiöses Zentrum, das jedes Jahr Millionen von Pilgerinnen und Pilgern anzieht. Die Stadt ist besonders bekannt für ihre zahlreichen Tempel, vor allem den Kashi-Vishwanath-Tempel, der dem Gott Shiva gewidmet ist.

Am Ufer des Ganges finden täglich religiöse Rituale und Zeremonien statt – allen voran das Ganga-Aarti, ein eindrucksvolles Lichtritual, das jeden Abend zu Ehren des Flusses zelebriert wird. Viele Gläubige reisen nach Varanasi, um im Ganges zu baden, da dies als symbolische Reinigung von Sünden gilt. Zudem ist die Stadt ein zentraler Ort für hinduistische Bestattungen: An Verbrennungsstätten wie dem berühmten Manikarnika-Ghat werden Verstorbene öffentlich am Fluss verbrannt. Nach hinduistischem Glauben führt das Sterben in Varanasi zur Erlösung (Moksha) – zur Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten.

Diese enge Verbindung zwischen Leben, Tod und spiritueller Reinigung macht Varanasi zu einem einzigartigen Ort von tiefer religiöser Bedeutung für Hindus weltweit. 

Varanasi

Nach der intensiven, aber auch äußerst aufschlussreichen Zeit in Varanasi reisten meine Eltern und ich weiter nach Nagpur. Dort hatten meine Eltern endlich die Gelegenheit, meinen Chef – den Direktor des India Peace Centre, Angelious Michael – persönlich kennenzulernen. Auf dieses Treffen hatten sich beide Seiten schon lange gefreut. Das Gespräch verlief sehr positiv, und meine Eltern fühlten sich danach noch sicherer und zuversichtlicher, mich für die verbleibende Zeit meines Aufenthalts in Indien hier zu lassen.

Ein weiteres Highlight unserer Tage in Nagpur war ein kleiner, privater Kochkurs, den eine Bekannte von mir für uns organisiert hatte. Sonal kochte gemeinsam mit uns ein typisches indisches Abendessen, das wir anschließend zusammen mit ihrer Familie in herzlicher Atmosphäre genießen durften. Es war ein rundum gelungener Abend, der uns nicht nur kulinarisch, sondern auch menschlich sehr bereicherte.

Zeit in Nagpur

Ich beendete das dritte Quartal mit einem unvergesslichen Trip nach Nepal. Es ging auf den Annapurna Base Camp Trek – eine Route, die nicht nur durch ihre spektakulären Ausblicke und die beeindruckende Natur besticht, sondern auch körperlich extrem herausfordernd ist.

Trotz der Anstrengung verliebte ich mich sofort in das Land und seine Menschen. Für mich fühlte sich Nepal wie das entspanntere Indien an: In der Hauptstadt Kathmandu spürt man zwar das bunte Treiben einer Großstadt, aber nur wenige Stunden entfernt findet man sich in klarer Bergluft und ruhiger Natur wieder.

Besonders beeindruckt haben mich die Menschen in Nepal. Ich empfand sie als ausgesprochen herzlich, offen und respektvoll. Anders als es mir an manchen Orten in Indien ergangen ist, hatte ich hier nie das Gefühl, lediglich als „Geldquelle“ wahrgenommen zu werden. Vielmehr begegnete man mir mit ehrlichem Interesse und großer Gastfreundschaft.

Nepal

Zurück in Nagpur stand eine sehr interessante Webinar-Reihe an, die vom India Peace Centre gemeinsam mit weiteren Partnerorganisationen organisiert wurde. Die Webinare befassten sich mit dem Nexus Approach zu den Themen Land, Wasser und Ernährung.

Der Nexus Approach betrachtet diese drei Bereiche nicht isoliert, sondern als miteinander verknüpfte Systeme. Ziel ist es, Wechselwirkungen zu erkennen und nachhaltige Lösungsansätze zu fördern, die den verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt stellen.

Insgesamt fanden vier Webinare zu den Themen Umwelt, Wasser, Ernährung und Land statt. Für diese gestaltete ich Einladungsplakate und übernahm im Zoom-Meeting die Rolle des Hosts. Die Veranstaltungen waren sehr aufschlussreich und gut strukturiert: Jedes Webinar beleuchtete das Thema sowohl aus religiöser als auch aus wissenschaftlicher Perspektive, was für die Teilnehmenden besonders anschaulich und greifbar war. Auch ich selbst konnte aus diesen Seminaren wertvolle Erkenntnisse mitnehmen.

Webinar

Ein weiteres Highlight war das gemeinsame Teamessen Ende Mai, das mein Chef als vorzeitige Verabschiedung für mich organisierte. Da Angelious Michael, der Direktor des India Peace Centre, den gesamten Juni nicht in Nagpur vor Ort sein würde und wir uns daher frühestens Anfang Juli noch einmal kurz sehen könnten, nutzten wir die Gelegenheit für ein letztes gemeinsames Abendessen.

Die Stimmung war ausgelassen – wir erzählten viele Geschichten und führten angeregte Gespräche, insbesondere über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Indien. Dadurch entstand ein sehr bereichernder und persönlicher Austausch.

Abschlussessen

Anfang Juni unternahm ich einen Kurztrip nach Sri Lanka. Aufgrund der Abwesenheit des Direktors hatte sich das Arbeitsaufkommen deutlich reduziert, sodass ich die Gelegenheit für eine kleine kulturelle Erkundungsreise nutzte.

Dabei machte ich in Sri Lanka bisher die spannendste Erfahrung im indischen Umland.

Bereits Ende März hatte ich den südlichsten Bundesstaat Indiens, Kerala, besucht. Dieser liegt nur wenige hundert Kilometer von Sri Lanka entfernt, weshalb ich zunächst erwartete, dass es zwischen den beiden Regionen kaum Unterschiede geben würde. Doch ich sollte mich deutlich täuschen.

Der Hauptgrund für die Unterschiede liegt im starken Massentourismus – insbesondere aus europäischen Ländern. Im Jahr 2023 empfing Sri Lanka etwa 2,3-mal so viele ausländische Touristen wie Kerala. Das zeigte sich deutlich in der Infrastruktur, im alltäglichen Leben und nicht zuletzt auch im kulinarischen Angebot.

Ich besuchte die Städte Colombo, Kandy und Ella und verbrachte zudem einige Tage an der Arugam Bay. Abgesehen von der Hauptstadt Colombo waren die anderen Orte stark auf Tourismus ausgelegt – ihre Wirtschaft basierte fast ausschließlich auf touristischen Angeboten und Attraktionen.

In den Tagen nach meiner Reise stellte ich mir viele Fragen: Warum bestehen so große Unterschiede zwischen geografisch so nah beieinanderliegenden Regionen? Und ist der Tourismus nun ein Fluch oder eine Chance – sowohl für Sri Lanka als auch für Indien?

Zu einem eindeutigen Ergebnis bin ich bis heute nicht gekommen. Auf der einen Seite profitiert Sri Lanka wirtschaftlich stark vom Tourismus. Auf der anderen Seite werden Einheimische in den touristischen Regionen oft verdrängt und an den Rand gedrängt. Indien hingegen kann seine Kultur durch den vergleichsweise geringen Tourismus besser bewahren – was für Besucher ein ursprünglicheres Erlebnis schafft. Allerdings muss das Land dadurch auch wirtschaftliche Einbußen hinnehmen.

Sri Lanka

Meine letzten drei Wochen in Indien verbringe ich jetzt ganz entspannt. Ich treffe mich viel mit meinen Freunden und mache noch einmal all die Dinge, die mir in den vergangenen zehn Monaten besonders Freude bereitet haben. Außerdem besorge ich noch einige Souvenirs – dabei sind mir meine Freund*innen vor Ort eine große Hilfe.

Insgesamt versuche ich gerade, bewusst Abschied zu nehmen – von Indien, von Nagpur und von diesem gesamten Freiwilligenjahr. Ich habe das Gefühl, dass ich es später bereuen würde, wenn ich diesen Prozess nicht aktiv und bewusst gestalte.

Dieses Jahr war – und ist – eine unglaublich prägende Zeit für mich. Ich habe viel gelernt, neue Erfahrungen gesammelt und mich mehr als einmal aus meiner Komfortzone herausgewagt. Allerdings ist mir momentan noch gar nicht wirklich bewusst, wie sehr mich dieses Jahr geprägt hat. Ich bin sicher, dass mir das erst mit etwas zeitlichem Abstand wirklich klar werden wird.

Ich habe in diesen Monaten auch viel über mich selbst gelernt – aber es wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis ich all diese persönliche Entwicklung begreifen und einordnen kann.

Ich bin für elf Monate in ein Land gekommen, das in Europa oft mit vielen Vorurteilen behaftet ist – und ich habe für mich viele dieser Vorurteile widerlegen können. Ich habe Freundschaften geschlossen und es geschafft, mich so weit einzuleben, dass es sich fast wie ein zweites Zuhause anfühlt.

Doch ich möchte auch ehrlich sagen: Es war kein einfacher Weg. Der Anfang war hart. Allein in eine völlig neue Umgebung zu kommen, fiel mir nicht leicht. Aber Schritt für Schritt habe ich mich angepasst – und das Land sowie vor allem die Menschen hier lieben gelernt.

Aus heutiger Perspektive kann ich nur sagen: Dieses Jahr war ein Erfolg. Auch wenn es ganz anders verlaufen ist, als ich es mir vorgestellt hatte – genau das war vielleicht die wichtigste Lektion: Die Vorstellung unterscheidet sich oft stark von der Realität. Aber es liegt an einem selbst, das Beste aus dieser Realität zu machen.

Die zweitgrößte Stadt der Welt

Lärm, Dichte, tausende Gerüche, Trubel – und 35 Millionen Einwohner: Das erwartete mich Ende Februar, als ich mich auf den Weg in die Hauptstadt Indiens, nach Delhi, machte. Bevor ich dort ankam, waren meine Gefühle gemischt: Einerseits war da die Vorfreude, endlich die berühmte Metropole zu erleben – andererseits auch Unsicherheit, ob sie mir gefallen würde, denn ich hatte bereits vieles Negative über Delhi gehört.

Mein Weg von Nagpur nach Delhi führte mich zunächst nach Agra im Bundesstaat Uttar Pradesh. Dort wollte ich eines der sieben Weltwunder der Moderne mit eigenen Augen sehen – den Taj Mahal. Dieses Bauwerk war für mich eines der beeindruckendsten, das ich bisher in Indien gesehen habe. Doch Agra hatte mehr zu bieten, etwa das Agra Fort oder den sogenannten „Mini-Taj“.

Agra

Nach einer Übernachtung in Agra reiste ich weiter nach Delhi. Die Stadt war anders als alles, was ich je erlebt hatte – die Menschenmengen, der Lärm, das Chaos waren überwältigend. Ich verbrachte drei Tage in Delhi und konnte mir so ein gutes Bild machen. Die ersten Tage war ich im ruhigeren Teil der Stadt unterwegs, hauptsächlich in Neu-Delhi. Dort überraschte mich Delhi mit seiner Sauberkeit, schöner Architektur und vielen Grünflächen. Ich besuchte das India Gate, den Sunder-Nursery-Garten und das Humayun’s Tomb. Am letzten Tag meines Aufenthalts war ich in Old Delhi, rund um das bekannte Rote Fort. Diese Erfahrung war völlig anders: Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Menschen auf einmal gesehen. Es war kaum möglich, die Umgebung wahrzunehmen – ich musste ständig aufpassen, nicht von der Menschenmasse mitgerissen zu werden. So etwas muss man selbst erlebt haben, um es zu begreifen. Insgesamt bin ich sehr froh, Delhi besucht zu haben. Neu-Delhi hat mich positiv überrascht, während Old Delhi in puncto Lärm, Trubel und Schmutz meine Erwartungen bei Weitem übertroffen hat.

Delhi

Nach meinem Aufenthalt in Delhi ging es für mich weiter nach Malaysia, genauer gesagt nach Kuala Lumpur, um dort zwei Freundinnen aus meiner Heimat zu treffen, die auf Asienreise waren. Kuala Lumpur überraschte mich auf ganz andere Weise: ruhig, sauber, geordnet – damit hatte ich nicht gerechnet. Als ich 2018 zum ersten Mal dort war, hatte ich ein ganz anderes Bild. Aber ich bin sicher, dass mein langer Aufenthalt in Indien meinen Blick verändert hat – das Maß an Trubel und Intensität, das Indien bietet, findet man in kaum einem anderen Land.

Kuala Lumpur

Zurück in Nagpur folgte gleich das nächste Highlight: Das Holi-Festival stand vor der Tür. Holi ist ein indisches Frühlingsfest, bei dem der Sieg des Guten über das Böse gefeiert wird. Menschen bewerfen sich mit buntem Pulver, spielen mit Wasser, tanzen und singen gemeinsam. Am Vorabend des Festes, am 13. März, wurde ich von meinem Freund Anirudhha und seiner Frau Shabri eingeladen, mit ihnen die Zeremonie am Feuer zu feiern. Sie liefen Runden um das Feuer, zeichneten Kreise mit Wasser und warfen Opfergaben wie Kokosnüsse hinein. Am nächsten Tag besuchten wir gemeinsam Freunde und Familie, wünschten ein fröhliches Holi und segneten einander mit Farbpulver – eine schöne, spirituelle Geste. Besonders berührend war für mich die große Gastfreundschaft, die ich nicht nur von meinen Freunden, sondern auch von den Menschen auf unserer Runde erleben durfte – einige davon kannte ich bereits selbst gut.

Holi-Festival

Mitte März geschah zudem etwas Spannendes das India Peace Centre, bei dem ich tätig bin, hatte in den letzten 50 Tagen ein internationales Friedensprogramm organisiert, das nun zu Ende ging. Ich war fast täglich involviert und übernahm viele Aufgaben, wodurch ich eine enge Verbindung zu den Teilnehmenden aufbauen konnte. Es waren Menschen aus den Philippinen, Myanmar, Timor-Leste, Indien, Nepal und Indonesien dabei – der Austausch mit ihnen war für mich unglaublich bereichernd da ich so viel über andere Kulturen und Lebensweisen lernen konnte. 

Ende März bis Anfang April reiste ich schließlich mit einem meiner besten Freunde aus Deutschland durch den Süden Indiens, insbesondere durch Kerala. Unsere Tour begann in Mangalore, wo wir zur Eingewöhnung zwei Tage verbrachten und auch die Familie einer Bekannten trafen – auch hier wurden wir herzlich empfangen. Danach ging es weiter nach Kochi, wo wir Fort Kochi erkundeten, und schließlich nach Alleppey, wo wir eine wunderschöne Bootstour durch die berühmten Backwaters machten. Anschließend fuhren wir mit dem Bus nach Munnar, einem Ort in fast 2.000 Metern Höhe, der für seinen Tee-Anbau bekannt ist. Die Landschaft und das Klima dort waren atemberaubend. Den Abschluss unserer Reise bildete Varkala, eine Küstenstadt ganz im Süden, in der wir fünf entspannte Tage mit gutem Essen und Strandzeit verbrachten – genau das Richtige nach dem Trubel der Reise.

Kerala

Alles in allem kann ich sagen ich fühle mich hier in Indien immer wohler. In Nagpur wachsen meine Freundschaften und auf Reisen helfen mir meine bisherigen Erfahrungen, sicherer und entspannter unterwegs zu sein. So sammle ich ganz nebenbei unglaublich viele horizonterweiternde Eindrücke – und genau das macht diese Zeit für mich so besonders.

Ein halbes Jahr in Indien!

Im Dezember letzten Jahres hieß es das erste Mal Abschied nehmen. Allerdings war es nicht mein Abschied, sondern ein sehr guter Freund verließ Indien. Mein guter Freund Ashrit reiste nach Kanada, um dort seinen Master zu absolvieren. Während meines Freiwilligendienstes in Indien werden wir uns also nicht mehr wiedersehen. Ich lernte Ashrit in meinen ersten Wochen in Indien kennen, und seitdem entwickelte sich eine enge Freundschaft. Unser Kennenlernen ist für mich ein Beweis dafür, dass es sich lohnt, aus seiner Komfortzone herauszutreten. Wir begegneten uns bei einem Programm meiner Arbeit. Ich erinnere mich noch gut an diesen Abend: Es war eine meiner ersten Wochen in Indien, und ich hätte nicht an dem Programm teilnehmen müssen, da es abends stattfand. Zunächst hatte ich keine richtige Lust, erneut den gleichen Smalltalk zu führen, den ich in den vorherigen Wochen so oft hatte. Doch ich entschied mich trotzdem dazu, hinzugehen, denn genau für solche Erfahrungen war ich nach Indien gekommen – Dinge zu tun, mit denen ich mich nicht sofort anfreunden konnte. Vor Ort kamen wir schnell ins Gespräch, und es herrschte direkt eine lockere Stimmung, weit entfernt von dem belanglosen Smalltalk der vorherigen Wochen. Nach dem Programm blieben wir in Kontakt und wurden gute Freunde. 

Ashrit und ich

Kurz vor Weihnachten verließ ich dann auch Nagpur und machte mich auf den Weg nach Mumbai. Dort sollte ich meine Familie treffen, doch ich reiste einige Tage früher an, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden und ein guter Guide für sie zu sein. Meine Tage alleine in Mumbai waren geprägt von vielen Erkundungen und großer Vorfreude auf das Wiedersehen mit meiner Familie. Die Zeit verging wie im Flug.

Gemeinsam mit meiner Familie verbrachte ich einige Tage in Mumbai und wir  besuchten alle wichtigen Sehenswürdigkeiten. Unser erster Halt war das Gateway of India, ein Symbol der indischen Unabhängigkeit. Hier verließen 1948 die letzten britischen Truppen das Land. Wir erkundeten den Colaba Causeway, den Victoria Terminus und den Crawford Market. Für meine Familie war es das erste Mal, dass sie hautnah erlebte, wie überwältigend Indien sein kann. Einer der eindrucksvollsten Besuche war jedoch unsere Tour durch den Dharavi-Slum. Dharavi liegt im Herzen Mumbais und ist mit 2,4 Quadratkilometern Fläche und rund einer Million Einwohnern einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt sowie der größte Slum Asiens. Wir buchten eine Slum-Tour über die Organisation Reality Tours & Travel, die 80 % ihres Gewinns in soziale Projekte innerhalb des Slums reinvestiert.

Mumbai

Nach Mumbai reisten wir mit dem für Indien wohl typischsten Fortbewegungsmittel – dem Zug – weiter nach Nagpur. Direkt nach unserer Ankunft unternahmen wir eine Tiger-Safari im nahegelegenen Pench-Nationalpark. Unser Begleiter war Sarvesh, ein Freund aus Nagpur, der mir bei der Organisation meiner Reisen in Indien sehr viel hilft. Der Verlauf der Safari lässt sich gut mit meiner bisherigen Zeit in Indien vergleichen: Sie begann extrem schleppend, wurde dann aber richtig spannend. Den ganzen Nachmittag konnten wir keinen Tiger entdecken, und als es allmählich dunkel wurde, hatten wir die Hoffnung fast aufgegeben. Doch dann fuhr unser Guide mit seinem Jeep mit 40-50 km/h durch einen nicht ganz offiziellen Weg, als mein Vater plötzlich rief, er habe einen Tiger gesehen. Zunächst waren alle skeptisch, doch unser Guide kehrte um – und tatsächlich, dort war ein Tiger! Bis heute frage ich mich, wie mein Vater keine Speisekarte ohne Brille lesen kann, aber in der Dämmerung auf holprigen Straßen einen Tiger in 70 Metern Entfernung im Wald erspähen konnte. 

Die folgenden Tage in Nagpur verbrachte ich damit, meiner Familie zu zeigen, wo ich lebe, was ich täglich mache und einige meiner Freunde vorzustellen.

Tiger-Safari

Unser letzter gemeinsamer Stopp war Goa – der perfekte Abschluss unserer gemeinsamen Zeit. Dort konnten wir am Strand entspannen und dem Trubel Indiens für eine Weile entkommen.

Goa

Der Abschied von meiner Familie fiel mir nicht leicht, doch das neue Jahr begann direkt mit einem aufregenden Ereignis, das den Abschied erleichterte. Es ging für mich zum Zwischenseminar nach Chennai, der Hauptstadt des Bundesstaates Tamil Nadu. Dort verbrachte ich eine Woche mit anderen deutschen Freiwilligen, die ebenfalls in Indien tätig sind. Es war eine tolle Zeit, in der wir unsere bisherigen Erfahrungen reflektierten und erste Gedanken zum Abschied besprachen. Letzteres fühlte sich für mich surreal an, da ich kaum glauben konnte, dass bereits mehr als die Hälfte meiner Zeit in Indien vergangen war.

Nach Chennai reiste ich weiter in den Süden und besuchte die Stadt Pondicherry, eine ehemalige französische Kolonie. Dies spiegelte sich sowohl in der Architektur als auch in der Küche wider – ich konnte dort zum Beispiel ausgezeichnete Pain au Chocolat genießen. Ein Tagesausflug führte mich nach Auroville, ein Dorf, das seit 1968 existiert und auch als „Aussteigerdorf“ bekannt ist. Dort leben Menschen aus der ganzen Welt, die in den 1970er-Jahren nach Indien kamen, um ein freies Leben zu führen, Yoga zu praktizieren und dem materialistischen und kapitalistischen Lebensstil ihrer Heimatländer zu entkommen. In Auroville gibt es kein Bargeld, kein typisches Einkommen – jeder bringt sich mit seinen individuellen Fähigkeiten in die Gemeinschaft ein.

Pondycherry und Auroville

Nach meinem „kleinen Frankreich-Ausflug“ freute ich mich umso mehr, Ende Januar wieder nach Nagpur zurückzukehren und erneut die indische Kultur in vollen Zügen zu erleben. Ein besonderes Highlight erwartete mich dort: Die Hochzeit meines besten Freundes in Indien, der seine Verlobte Shabri in einer traditionellen hinduistischen Zeremonie heiratete. Ich fieberte diesem Ereignis genauso entgegen wie das Brautpaar selbst. Am Vorabend der Hauptzeremonie fand der Sangeet statt, bei dem Freunde und Verwandte traditionelle indische Tänze aufführten. Der Hochzeitstag selbst bestand aus vielen verschiedenen Ritualen. Zunächst nahm ich an der Baarat teil, bei der hauptsächlich die männlichen Gäste den Bräutigam, der auf einem Pferd ritt, zu einem Tempel begleiteten. Dort wurden dem Gott Hanuman Kokosnüsse geopfert, um den Bräutigam symbolisch „freizugeben“. Ein weiteres bedeutendes Ritual war der Vidhi, bei dem sich Braut und Bräutigam gegenüberstehen, getrennt durch ein Tuch. Erst wenn das Tuch fällt, dürfen sie sich sehen. Diese Zeremonie hatte in Zeiten ausschließlich arrangierter Ehen besondere Bedeutung da sich das Brautpaar dort erstmals sah. Die Hochzeit endete für mich mit der Saptapadi, bei der sich das Paar sieben Eheversprechen am heiligen Feuer gibt.

Hochzeit

Die letzten zwei Monate in Indien waren die intensivsten bisher. Durch spannende Reisen allein und mit meiner Familie konnte ich das Land besser kennenlernen, neue Kontakte knüpfen und noch tiefer in die indische Kultur eintauchen. Ich bin gespannt, was die verbleibenden fünf Monate bringen werden. Da bereits viele weitere Reisen in Planung sind, bin ich zuversichtlich, die Zeit in vollen Zügen genießen zu können.

Alltag zwischen neuen Erfahrungen und aufregenden Orten

Mein Alltag ist geprägt von neuen Erfahrungen, inspirierenden Freundschaften, aufregenden Orten und einer großen Portion Spaß. Seit vier Monaten lebe ich nun schon in Indien – eine lange Zeit, doch besonders die letzten beiden Monate sind wie im Flug vergangen. In dieser Zeit hatte ich die Gelegenheit, deutlich mehr zu erleben als in meiner Anfangsphase, was meinen Aufenthalt noch bereichernder und die Eingewöhnung leichter gemacht hat.

Mitte Oktober durfte ich ein außergewöhnliches Ereignis erleben: die Hochzeit eines guten Freundes. Indische Hochzeiten unterscheiden sich stark von denen in Deutschland. Sie erstrecken sich über mehrere Tage und beinhalten zahlreiche Zeremonien. Den Anfang machte die sogenannte Ringzeremonie, bei der sich das Paar gegenseitig die Ringe überreicht. Dieses Ritual ist ursprünglich westlich geprägt und daher kein traditioneller Bestandteil indischer Hochzeiten, wird jedoch immer häufiger integriert. Ich war zur Ringzeremonie eingeladen, und während meine indischen Freunde dies als völlig normal empfanden – viele von ihnen haben bereits an mehr als 20 solcher Zeremonien teilgenommen – war es für mich eine faszinierende Erfahrung, die mich sehr beeindruckt hat. Nun freue ich mich umso mehr auf die eigentliche Hochzeit mit bis zu 1.000 Gästen, die in etwa einem Monat stattfinden wird. Mehr dazu folgt im nächsten Blog 😉

Hochzeit

In der darauf folgenden Woche nahm ich an einem zweitägigen „Leadership Training Programme“ der YMCA teil, was mir viele wertvolle Kontakte einbrachte.                              

YMCA Team

Das Knüpfen von Kontakten ist für mich in den letzten Monaten besonders wichtig geworden, da es das Leben in einem fremden Land nicht nur erleichtert, sondern auch bereichert. So wurde ich beispielsweise von Dr. Tejinder Singh Rawal, einem ehemaligen Leiter des India Peace Centre, zu einem „Potluck“ eingeladen. Bei diesem Treffen brachte jeder Gast ein Gericht mit, wodurch ein vielfältiges Buffet entstand. Neben kulinarischen Genüssen bot sich mir die Gelegenheit, interessante Menschen kennenzulernen, lustige Spiele zu spielen und die indische Kultur weiter zu entdecken.

Potluck

Ein weiteres schönes Erlebnis war die Geburtstagsfeier eines guten Freundes. Zum ersten Mal hatte ich wieder das Gefühl, wie zu Hause zu sein: von Freunden zu einer Feier eingeladen zu werden und in einem kleinen Kreis ganz entspannt in den Geburtstag hineinzufeiern.

Geburtstag

Diese Erlebnisse mit meinen neu gewonnenen Freunden sind für mich unglaublich bereichernd, da ich auf der einen Seite einzigartige Momente genießen und auf der anderen Seite meine Faszination mit anderen teilen kann, was die Erfahrungen noch intensiver macht. Ich bin mir sicher, dass ich mich auch in vielen Jahrzehnten noch an die Runden Cricket am Morgen, das Fußball-Hallenturnier oder an kleine Tagesausflüge zu atemberaubenden Aussichtspunkten erinnern werde.

Ausflüge

Vom 29. Oktober bis zum 3. November durfte ich das Diwali-Festival in Indien erleben. Diwali, auch als Lichterfest bekannt, ist eines der wichtigsten und bekanntesten Feste in Indien. Es symbolisiert den Sieg des Lichts über die Dunkelheit und des Guten über das Böse. Während dieses Festivals führen Hindus die sogenannte Puja-Zeremonie durch, bei der unter anderem die Göttin Lakshmi verehrt wird. Sie soll den Menschen Wohlstand in ihre Häuser und Geschäfte bringen. Ich hatte das große Glück, von meinem Freund Aniruddha zu dieser Puja eingeladen zu werden. Das Lichterfest wird anschließend mit viel Feuerwerk gefeiert – mir wurde erzählt, dass es an Diwali sogar mehr Feuerwerk gibt als an Neujahr.

Diwali

Mitte November stand dann wieder eine Reise auf dem Plan, auf die ich mich sehr gefreut hatte. Es ging in den Bundesstaat Meghalaya, genauer gesagt in die Hauptstadt dieses Staates, Shillong. Die Reise nach Shillong war bislang meine längste, da sie zwei 20-stündige Zugfahrten beinhaltete, was wirklich anstrengend war. Wir kamen nach Shillong, da wir dort unser zweites „School of Peace“-Programm veranstalteten, ähnlich wie bereits im September in Odisha. Shillong und der Nordosten Indiens allgemein sind atemberaubend schön und völlig anders als die Region, in der ich lebe. Die Gegend ist bergiger, das Klima kühler, die Luft sauberer, es gibt weniger Müll und eine faszinierende Natur. Neben dem Programm hatte ich fast zwei ganze Tage Zeit, die Stadt zu erkunden, was mir große Freude bereitete.

Shillong

Am 25. November kehrte ich aus Shillong zurück, doch schon am 26. November sollte es nach Ahmedabad weitergehen. Leider wurde ich in der Nacht von meiner ersten, für Indien berüchtigten Lebensmittelvergiftung erwischt und musste dieses Programm schweren Herzens aussetzen. Glücklicherweise erholte ich mich schnell und konnte Anfang Dezember das India Peace Centre im Süden Indiens, genauer gesagt in Bangalore, der Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka, bei einem „Capacity Building“-Programm vertreten. Dort hatte ich erneut die Gelegenheit, die Stadt zu erkunden – diesmal auch allein. Diese Erfahrung war für mich sehr wertvoll, da es mir zeigte, wie wichtig es ist, mit sich selbst klarzukommen und das Alleinsein bewusst genießen zu können. Es macht die Momente, in denen man wieder mit anderen Menschen zusammen ist, umso wertvoller.

In Bangalore faszinierte mich vor allem der KR Market, auf dem man im Grunde alles kaufen kann, vor allem jedoch Obst und Gemüse. Es ist schwer, diesen Markt mit der Obst- und Gemüseabteilung eines deutschen Supermarkts zu vergleichen – der Lärm, die Menschenmassen, die überwältigende Vielfalt an Waren und die nicht immer optimalen Hygienebedingungen machen den Unterschied deutlich. Neben dem Markt besuchte ich den beeindruckenden Bangalore Palace, ein architektonisches Meisterwerk. Gleichzeitig zeigte mir die Stadt einen anderen Kontrast: moderne Einkaufszentren und eine Vielzahl an Start-ups, die Bangalore den Spitznamen „Silicon Valley“ Indiens eingebracht haben.

Bangalore

Die letzten zwei Monate waren für mich eine sehr eindrucksvolle Zeit. Ich habe viele neue Menschen, Städte und Lebensweisen kennengelernt. Mit jeder Woche gefällt mir meine Zeit in Indien besser, da ich zunehmend mit allen Eindrücken zurechtkomme und nach und nach tiefere Freundschaften entwickle. Ich bin gespannt, was die kommende Zeit noch bringen wird, und freue mich schon sehr darauf, Ende Dezember Zeit mit meiner Familie zu verbringen.

Indien – das bisher größte Abenteuer meines Lebens

Mein Abenteuer begann nicht erst mit der Landung am Dr. Babasaheb Ambedkar International Airport in Nagpur, im Bundesstaat Maharashtra. Nein, es startete bereits mit dem Betreten des Flugzeugs in Doha. Als einziger Europäer an Bord spürte ich sofort die neugierigen Blicke – eine Erfahrung, die ich so noch nie gemacht hatte. Dieses ungewohnte Interesse an meiner Person ließ mich zunächst unwohl fühlen, doch das Gefühl verflog schnell. Schon während des Flugs lernte ich die außergewöhnliche Herzlichkeit der indischen Gesellschaft kennen. Mein Sitznachbar, Shashank, stellte sich mir vor, und wir kamen rasch ins Gespräch. Er erzählte mir von seiner Arbeit als Softwareentwickler und dass er gerade auf dem Weg sei, seine Familie in der Nähe von Nagpur zu besuchen. Wir tauschten Kontaktdaten aus, und er bot mir seine Hilfe an, falls ich sie jemals benötigen würde. Diese unerwartete Freundlichkeit beeindruckte mich tief – ich war noch nicht einmal auf indischem Boden gelandet, und schon hatte ich eine wunderbare Bekanntschaft gemacht. Meine anfängliche Nervosität wich einem positiven Gefühl. Mein offizielles Willkommen in Indien erlebte ich am 15. August, dem Tag der indischen Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien. Als Zeichen des Willkommens wurde mir ein traditioneller Schal, der sogenannte „Shawl“, umgehängt. Meine physische Ankunft war also vollzogen – doch psychisch sollte es noch eine Weile dauern, bis ich mich vollständig angekommen fühlte.

Mein offizielles Willkommenheißen in Indien

In den folgenden Tagen lernte ich die Menschen und die Arbeit meiner Organisation, dem India Peace Centre (IPC), sowie der Dachorganisation, dem National Council of Churches in India (NCCI), kennen. Zudem bot sich mir die Gelegenheit, bedeutende religiöse Stätten in Nagpur zu besuchen. Einer der Höhepunkte war der Besuch von Deeksha Bhoomi, einem historischen Ort, an dem Dr. B. R. Ambedkar am 14. Oktober 1956 zusammen mit Millionen von Dalits zum Buddhismus konvertierte. Dieser Akt markierte den Beginn der Dalit-Buddhismus-Bewegung und war ein Protest gegen das Kastensystem. Deeksha Bhoomi ist ein starkes Symbol für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit in Indien. Dalits sind jene Menschen, die im indischen Kastensystem die niedrigste Stellung einnehmen und oft die größte Diskriminierung erfahren.

Deeksha Bhoomi

Ende August hatte ich die Möglichkeit, mit dem Church of North India Social Service Institute ein Projekt in einem Slum am Stadtrand von Nagpur zu besuchen. Das Projekt zielte darauf ab, Kindern durch Bildung, Unterstützung und einen sicheren Rückzugsort zu helfen. Die Kinder konnten nach der Schule zu einer Lehrerin nach Hause kommen, um dort ihre Nachmittage zu verbringen, anstatt ihre Zeit auf der Straße zu verbringen. Für mich war dieser Besuch eine zutiefst bewegende Erfahrung. Einerseits war es bedrückend, die schwierigen Lebensumstände der Menschen zu sehen, doch andererseits war es wunderschön, zu erleben, wie den Kindern geholfen wurde und sie einen sicheren Raum erhielten. Besonders faszinierte mich die unglaubliche Herzlichkeit und Menschlichkeit der Menschen im Slum, trotz ihrer materiellen Armut. Eine so ausgeprägte Form der Gastfreundschaft hatte ich selten zuvor erlebt.

Das Klassenzimmer im Slum

So verging der erste Monat in Nagpur wie im Flug, und meine erste berufliche Reise stand bevor – es ging in den Bundesstaat Odisha. Wir planten ein Programm namens „School of Peace“ an der KT Global School. Im Rahmen dieses Projekts wählten wir Schüler und junge Menschen aus der Umgebung aus, um mit ihnen über globale Themen wie die SDGs (Sustainable Development Goals), Umwelt, Klimawandel, Frieden, Feminismus sowie die Bekämpfung von Vorurteilen und Diskriminierung zu reden. Das „School of Peace“-Programm soll viermal in verschiedenen Teilen Indiens stattfinden und es dem IPC ermöglichen, lokale Vertreter zu gewinnen, die dieselben Ziele und Vorstellungen teilen. Am letzten Tag vor der Abreise hatten wir die Gelegenheit, die Hauptstadt des Bundesstaates Odisha, Bhubaneswar, auch bekannt als „Stadt der Tempel“, zu erkunden. Gemeinsam mit zwei anderen französischen Freiwilligen der KT Global School besuchte ich mehrere Tempel und genoss das köstliche Streetfood. Dieser Ausflug in einen anderen Bundesstaat war eines meiner bisherigen Highlights hier in Indien.

Odisha

Wenn ich mich jedoch auf ein Erlebnis festlegen müsste, wären es die Festivals, die mich am meisten beeindruckt haben. Während meiner Zeit hier konnte ich bereits zwei bedeutende Feste erleben. Mir wurde gesagt, dass der August die beste Zeit sei, um nach Indien zu kommen, da in diesem Monat viele Festivals stattfinden. Im September hatte ich das Vergnügen, das „Ganesh Chaturthi“-Festival mitzuerleben. Dieses Fest wird zu Ehren von Ganesha gefeiert, dem Gott, der Hindernisse beseitigt und Glück, Weisheit und Erfolg bringt. Das Fest markiert den Beginn neuer Unternehmungen und Gebete für Wohlstand.  Im Oktober feierte ich dann Navratri, ein Fest, das den Sieg der Göttin Durga über den Dämon Mahishasura symbolisiert. Es steht für den Triumph des Guten über das Böse und wird mit Tänzen, Gebeten und Ritualen begangen. Die Festivals sind für mich eine besonders schöne Zeit, da ich sie mit meinen neu gewonnenen Freunden genießen kann und dabei auch neue Bekanntschaften knüpfen kann.

„Ganesh Chaturthi“ und „Navratri Festival“

Am Anfang habe ich gesagt, dass ich mich nur physisch angekommen fühle, doch langsam fühle ich mich auch mental immer mehr in Indien zuhause. Mit dem Entstehen von Freundschaften und durch meine fortschreitende Anpassung an die indische Kultur fühle ich mich immer wohler. Ich bin gespannt, wohin mich dieses Abenteuer noch führen wird.

Weltflüchtlingstag

Am 20.06. war der Weltflüchtlingstag. Er soll jedes Jahr an die Millionen von Menschen erinnern, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Allein in diesem Jahr ist die Anzahl auf 120 Mio. Menschen gestiegen. Das ist ein trauriger Rekordwert, denn keine Person flieht freiwillig, sondern vor Krieg, Armut und Klimakrise. Das IPC hat aus diesem Anlass eine digitale Veranstaltung organisiert. Dafür wurde David Fraccaro aus den Vereinigten Staaten eingeladen über die amerikanische Migrationspolitik und seine Arbeit in diesem Thema zu berichten. Er arbeitet schon seit einiger Zeit für eineNGO, die sich für die Verbesserung von Geflüchteten einsetzt. Es war sehr aufschlussreich mehr über die schlechte Situation von Geflüchteten in Amerika zu erfahren, die der Situation von Geflüchteten in Europa leider sehr ähnelt.

Nach dem halbstündigen Vortrag von David, folgte eine kurze Vorstellungsrunde der Teilnehmenden und danach gab es die Zeit Fragen zu stellen. Besonders interessant fand ich den interkulturellen Austausch zwischen David Fraccaro und den indischen Teilnehmer*innen die über die Migrationspolitik Indiens berichtet haben. Indien hat eine andere Migrationspolitik als der globale Norden. Die Willkommenskultur in Indien, die ich auch selbst hier erleben durfte, ist überhaupt nicht vergleichbar mit der europäischen/deutschen „Willkommenskultur“. So werden die allermeisten Geflüchteten, zum Beispiel aus Afghanistan gut behandelt. Durch den Citizenship Amendment Act, der 2019 verabschiedet wurde, können nicht-muslimischen Migrant*innen aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch, einfacher die indische Staatsbürgerschaft erhalten. Dadurch wird die Situation von bestimmten Personengruppen verbessert, was zum Beispiel für Sikhs, Buddhist*innen und Jains positiv ist. Doch gleichzeitig hat die Verabschiedung dieses Gesetzes auch für massenhafte, sehr berechtigte Kritik gesorgt. Denn für Muslim*innen aus anderen Ländern gelten diese Verbesserungen nicht. Dies hängt zusammen mit der indischen Regierung, die von Modi (BJP) geführt wird, und dem allgemeinen schlechten gesellschaftlichen Klima gegenüber Muslim*innen. Die Islamfeindlichkeit wird schon lange von der BJP geschürt und so erleben indische Muslim*innen und muslimische Geflüchtete viel Diskriminierung und gewalttätige Übergriffe. Gerade daher wird auch noch mal die Wichtigkeit des India Peace Centers deutlich, dass sie für mehr interreligiösen Austausch und ein friedliches Zusammenleben der vielen Religionen bemüht.

Mir ist noch mal mehr durch die Veranstaltung bewusst geworden, wie wichtig die Arbeit von NGOS ist, die sich für eine Verbesserung der Situation von Migrant*innen. Denn auch in Indien ist das viele Engagement von Menschen unerlässlich, um auch hier für eine Verbesserung zu sorgen. Wie unerlässlich die Arbeit von europäischen und auch amerikanischen NGO´s ist, wird erkennbar, wenn man bedenkt, dass in Europa, so wie auch in den Vereinigten Staaten es Lager für Geflüchtete gibt oder bald geben wird. Das ist besonders bizarr, wenn man bedenkt, dass der globale Norden eine riesige Mitschuld an den Fluchtursachen trägt. Denn der globale Norden ist es, der von der Armut und der Ausbeutung im globalen Süden profitiert und nur so seinen Wohlstand aufbauen konnte. Der globale Norden ist es, der durch Waffenexporte profitiert, die wiederum für die Menschen vor Ort Gewalt, Leid und Krieg bedeuten. Und auch ist es der globale Norden ist es, der historischen Schuld an der Klimakrise ist, diese immer noch weitervorantreibt und somit der Verursacher von Überschwemmungen und Hitzewellen ist, die Menschen zur Flucht zwingen.

Gerade wegen dieser drei Fakten ist es besonders schlimm, dass sich Europa immer weiter abschottet und seine Verantwortung für seine Handlungen nicht übernimmt. Stattdessen werden immer weiter rassistische, migrantenfeindliche Ressentiments verbreitet und menschenunwürdige Politik betrieben. Ergebnis davon ist zum Beispiel die GEAS, die im Frühling dieses Jahres vom europäischen Parlament verabschiedet wurde und die Situation Geflüchteter extrem verschlechtern wird. Gerade auch durch meine Erfahrungen im globalen Süden und der Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Neugier, die ich erlebt habe, wünsche ich mir, dass wir Menschen aus dem globalen Süden genauso aufnehmen, wie ich hier in Indien aufgenommen wurde. Es darf nämlich nicht so sein, dass aufgrund der globalen postkolonialen Strukturen, ich als Europäerin so eine Herzlichkeit erlebe und wir gleichzeitig Menschen aus dem globalen Süden in Lager inhaftieren und täglich mit Rassismus konfrontieren. Die deutsche/europäische, weiße Mehrheitsgesellschaft muss dringend ihren internalisierten Rassismus reflektieren und sich an der indischen Willkommenskultur ein Vorbild nehmen!

Pride in Nagpur

Zu Beginn des neuen Jahres fand die Pride in Nagpur statt. Ilana und ich wollten natürlich mitdemonstrieren und für eine Verbesserung der Situation von queeren Menschen in Indien kämpfen. Ich schätze es nahmen ungefähr 200-300 Menschen an der Demonstration teil, was mich überrascht hat. Denn ich hatte nicht gedacht, dass so viele Menschen aus Nagpur, einer indischen Kleinstadt, die Pride besuchen würden.. Bevor der Demozug losging, versammelten wir uns alle vor einer großen Bühne. Organisiert wurde die Pride von der NGO Sarathi Trust. Sie soll einen safe space für queere Menschen in Nagpur sein und bietet zudem auch medizinische Behandlungen an, die oft queeren Menschen in Indien verwehrt werden. Nach einer Eröffnungsrede von Nikunji Joshi, dem Vorsitzender von Sarathi Trust, folgten zwei unterschiedliche indische Tänze. Eine der beiden Tänzerinnen war Mohini, die eine bekannte Transaktivistin und Tänzerin Nagpurs ist (auf Instagram findbar unter). Nach dieser feierlichen Eröffnung, die von Konfetti und lauter, guter Musik begleitet wurde startete die eigentliche Demonstration. Eine große Prideflag wurde feierlich durch die Menschenmasse gereicht, sodass wir Demonstrant*innen hinter der Prideflag hergelaufen sind. Die Stimmung war sehr gut und alle waren glücklich, dass sie jetzt die Möglichkeit hatten für mehr Sichtbarkeit und gegen die andauernde Diskriminierung durch die Straßen Nagpurs zu ziehen.

Ich wusste zu Beginn nicht wie die Route des Demozuges aussehen wird und dachte, dass wir vielleicht eher kleinere, leerer Seitenstraßen aus Sicherheitsgründen nehmen würden. Doch das stimmte überhaupt nicht, was mich noch mehr beeindruckt hat. Wir sind bis zum Sitabuldi market und noch weitergelaufen. Wenn man aus Nagpur kommt oder so wie ich jetzt schon einige Zeit in Nagpur lebt, weiß man, dass der Buldimarkt und die Gegend drumherum das Zentrum Nagpurs ist. Dort gibt es wahnsinnig viele Geschäfte, eine beliebte Mall und dementsprechend ist es dort immer sehr voll. Das dort demonstriert wurde hat mich sehr beeindruckt, denn das gesellschaftliche Klima gegenüber queeren Menschen ist nicht besonders gut. Queerness ist tabuisert und wenn es zum Thema wird, wird es mehrheitlich abgelehnt. Homosexualität ist seit 2018 zum Glück nicht mehr illegal, doch das Inkrafttreten der „Ehe für alle“ wurde erst im letzten Jahr vom Supreme Court abgelehnt. Trans* Menschen haben die Möglichkeit einer medizinischen Transition, müssen diese aber selber zahlen, was viele aufgrund der hohen Kosten nicht zahlen können. Außerdem haben viele trans* Menschen, wenn sie geoutet sind und offen leben, große Schwierigkeiten einen Arbeitsplatz zu finden, an dem sie akzeptiert werden. Das führt dazu, dass viele trans* Menschen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Das Comingout ist für viele queere Menschen in Indien ein langer und schmerzhafter Prozess, der häufig erstmal mit Ablehnung durch die Familie endet. Gerade wegen diesem Wissen hat mich der Mut der Demonstrierenden sehr beeindruckt. In Deutschland ist der CSD oft eine kommerzielle große Party, statt einer Demonstration. Es ist für die meisten viel leichter einen CSD zu besuchen. Natürlich ist es auch in Deutschland nicht so, dass es keine Diskriminierung gegenüber queeren Menschen gibt. Der Paragraph 175 wurde erst 1975 abgeschafft, die „Ehe für alle“ wurde erst 2017 eingeführt. Blutspenden dürfen homosexuelle und bisexuelle Männer erst seit dem letzten Jahr. Das alte Transsexuellengesetz, welches trans Menschen massiv diskriminiert hat, wurde erst letztes Jahr durch ein Selbstbestimmungsgesetzt ausgetauscht, welches immer noch nicht die gesamte institutionelle Diskriminierung von trans Menschen beendet. Und auch in Deutschland ist das Comingout für viele noch immer ein harter Weg. Doch trotz dieser Diskriminierung, die es auch in Deutschland noch gibt oder erst vor kurzem beendet wurde, ist es natürlich leichter in Deutschland queer zu sein als in Indien.

Gerade deshalb hat mich der Mut dieser vielen Menschen während der Pride in Nagpur sehr berührt. Denn der Besuch einer solchen Veranstaltung kann gravierende Konsequenzen haben, vor allem wenn man noch ungeoutet ist. Mir war es deshalb wichtig solidarisch zu sein und die Kämpfe der queeren Menschen in Indien zu unterstützen. Die Pride in Nagpur war für mich eine sehr bereichernde, ermutigende und besondere Erfahrung!

Hindu-Tempel auf den Ruinen einer Moschee

Im Januar wurde in Ayodhya (einer kleinen Stadt im Norden Indiens) der Ram Tempel eingeweiht. Diese Einweihung ist ein gutes Beispiel für die immer zunehmender Islamfeindlichkeit in Indien. Modi höchstpersönlich ist nach Ayodhya gereist und hat dort den Tempel eingeweiht. Die Tempeleinweihung ist nämlich ein altes Wahlversprechen der BJP (Modis Partei). Mehrere tausend Menschen und viele Prominente haben live zugeschaut und es gab für alle anderen Live-Übertragungen. Am 22.01. dem Tag der Einweihung hatten viele Menschen wegen der Einweihung des Tempels frei. Über all in Nagpur und anderen Städten wurden orange Fahnen aufgehangen. Sie stehen stellvertretend für die Hindutva der BJP. Die Hindutva ist eine alte, faschistische Ideologie. Sie ist eine Mischung aus einem Nationalismus und religiösem Hinduismus, die bewirkt, dass es religiöse Minderheiten in Indien immer schwerer haben, weil sie Indien als diverses Land zu einem reinen Hindustaat umstrukturieren will.Am Abend der Einweihung gab es zur „Feier des besonderen Tages“ ein großes Feuerwerk in unserer Nachbarschaft. Es wird also erkenntlich, dass diese Tempeleinweihung für viele Hinduist*innen ein sehr wichtiges Ereignis war, welches von vielen Menschen groß gefeiert wurde. Für indische Muslim*innen war dieser Tag aber ein weiterer sehr bitterer und schmerzhafter Tag, der stellvertretend für den Hass steht, den sie erleben. Denn das Gelände, auf dem jetzt der Ram-Tempel steht, war vorher das Zuhause der Babri-Moschee. Diese wurde im 16 Jahrhundert von den Moguln erbaut. Viele Hinduist*innen glauben aber, dass die Moschee auf den Ruinen eines Tempels erbaut wurde, der vorher von den Moguln für den Bau der Moschee zerstört wurde. Hinzukommt noch, dass viele glauben, dass Ayodhya der Geburtstort des sehr wichtigen Gottes Ram ist. Somit wurde der angebliche Tempel damals als auch heute zu Ehren des Gottes Ram erbaut. Viele Jahrhunderte stand in Ayodha die Babri-Moschee. 1989 wurde auf dem Gelände der Moschee ein Tempel erbaut. Doch das reichte vielen Hindunationalist*innen nicht aus, sodass sie 1992 auch durch Einfluss der BJP die Babri-Moschee komplett zerstörten. Sie wollten den vermeintlich ursprünglichen Zustand wiederherstellen. Bei diesem Angriff starben in Ayodha, aber auch im ganzen Land insgesamt über zwei Tausend Muslim*innen. 2019 stimmte der Supreme Court dem Bau des Ram-Tempels auf dem früheren Ort der Babri-Moschee zu. Dies war ein Wahlversprechen Modis, welches er dieses Jahr einlösen konnte. Für viele Muslim*innen war deshalb der 22.01.2024 ein sehr schmerzhafter Tag, der mit Verlust und Furcht zu tun hat. Viele Muslim*innen haben sich entweder den Wiederaufbau der Moschee oder die Errichtung eines Mahnmals auf den Ruinen der Moschee gewünscht. Stattdessen wurde ein Tempel erbaut, dessen Einweihung im ganzen Land gefeiert wurde. Die Gewalt von 1992 wurde so legitimiert und die Islamfeindlichkeit nimmt immer mehr zu. Gerade auch wegen diesem Ereignis ist mir noch bewusster geworden wie wichtig die Arbeit des IPC`s ist. Intereligiöser Austausch und dadurch die Förderung des friedlichen Zusammenlebens aller Religionen in Indien sind wahnsinnig wichtig für eine diskriminierungsfreiere indischen Gesellschaft. Denn gerade die vielen unterschiedlichen Religionen machen den Charm Indiens aus.

Kids for Tigers

Im Februar fand am IPC ein großes Programm mit dem Namen „Kids for Tigers“ statt. Dieses Programm findet schon seit einigen Jahren im Januar/Februar statt und dient der Sensibilisierung der jungen Schüler*innen für ihre Umwelt und der Tiere, die in ihr leben. Genauso befasst man sich auch mit der Wichtigkeit des Klimaschutzes. Die Kinder sollen durch das Programm verstehen, dass wir Menschen genauso ein Teil der Natur sind. Die Natur hält uns am Leben, gerade deshalb müssen wir sie schützen.

Am 01.01. haben sich hunderte von Schüler*innen von unterschiedlichen Schulen in Nagpur morgens um kurz nach Acht auf dem Gelände des IPC`s versammelt. Um kurz nach Neun startete dann das Programm. Zunächst versammelten sich alle auf der großen Wiese vor dem IPC. Dort wurde das Event durch eine Begrüßung und kurze Reden eröffnet. Insgesamt haben fast 400 Schüler*innen von über dreißig unterschiedlichen Schulen teilgenommen. Vor dem Event konnten sie mir oder der Koordinatorin des Events mitteilen an welcher Station sie gerne teilnehmen wollen. Denn es gab 7 unterschiedliche Workshops. An diesen unterschiedlichen Stationen sollten sie auf kreative Weise zeigen was die Natur und Klimaschutz ihnen bedeutet.

So wurden vorher für die Station „Animal fancy dress“ von den Teilnehmer*innen Tierkostüme aus mehrheitlich umweltfreundlichen Materialien gebastelt. Denn alle Dinge, die auch während des Programms entstanden sind, mussten aus klimafreundlichen Materialien gemacht werden. Die Kostüme sahen wahnsinnig toll aus und durch Gespräche mit den Jugendlichen weiß ich, dass sie viel Freude beim Basteln der Kostüme hatten. Die Kinder, die sich vorher für die Station „Animal fancy dress“ entschieden haben, sind dann vor einer Jury aufgetreten und haben ihr Kostüm erklärt. Am Ende des Programms wurden dann für diese Station drei Sieger*innen ausgewählt.

Bei der Station „Street Play“ haben sich die Kinder vorher in Kleingruppen zusammengetan und dann vor einer Jury einen Tanz oder ein kleines Theaterstück vorgeführt. Die Gruppen sind gegeneinander angetreten und haben alle zum Thema „nur eine einzige Erde“ ganz unterschiedliche Geschichten erzählt. Eine Gruppe, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist, hat sehr anschaulich erklärt, wie wichtig Wasser ist und wie das gerechte Verteilen von Wasser zu mehr Frieden auf der Welt führen kann.

Beim „Stone art painting“ hatten die Schüler*innen eine Stunde Zeit Steine zu bemalen. Thema dabei war das Wildleben von Tieren. Die Endergebnisse haben mich auf jeden Fall sehr beeindruckt. Bei der „Rangoli competition“ wurden Rangolis zum Thema Klimaschutz mit umweltfreundlichen, wiederverwertbaren Materialien hergestellt. Rangolis werden oft vor dem Haus von Hinduist*innen mit Kreide auf dem Boden aufgetragen. Dabei werden unterschiedlichen Mustern und Farben verwendet, sodass die Endergebnisse immer wahnsinnig beeindruckend sind. Diese alte Tradition Indiens, durch die Glück und Positivität in das Haus und seine Bewohner*innen einziehen soll, ist sehr schön. Demenentsprechend waren auch die Rangolis, die während des Programms entstanden sind ganz toll. Beim „Face Painting“ hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit durch Wasserfarben sich gegenseitig ihre Gesichter anzumalen. Dabei wurde sich viel Mühe gegeben, sodass alle Gesichter verblüffend viel Ähnlichkeit mit unterschiedlichen Tieren hatten.

Nach dieser ganzen harten Arbeit gab es für alle erstmal eine kleine Stärkung. Samosas (mit Kartoffeln und Gemüse gefüllte Teigtaschen) und Dokhlas wurden an alle verteilt. Während die Kinder diesen Snack verzehrt haben, haben sie gleichzeitig an der Sieger*innenehrung teilgenommen. Dabei war es sehr schön zu sehen, wie sehr sich die Sieger*innen und ihre jeweiligen Klassen über die Auszeichnung gefreut haben! „Kids for Tigers“ war ein wirklicher Erfolg! Alle hatten ganz viel Spaß, weil sie mal die Möglichkeit hatten auf ganz kreative Weise Neues dazuzulernen. Dieser Ansatz des Programms war super, denn so wurden alle ganz anders ermutigt sich mit Umweltfragen auseinanderzusetzen und sich genauso auch für diese Thematik an ihren Schulen in AG´s einzusetzen.

Es hochzeitet im Hindu Stil

Helge und ich wurden von unserer guten Freundin Sonal zu unserer ersten vollständigen indischen Hochzeit eingeladen, bei der wir bei allen 5 Tagen der Hochzeit teilnehmen durften.

In den Wochen vor der Hochzeit gingen bereits die Vorbereitungen los und wir sind mit ein Paar Freunden shoppen gegangen, um festliche traditionelle Kleidung zu kaufen. Bezahlen durften Helge und ich am Ende aber nicht, Sonal bestand darauf für uns zu bezahlen. Nachdem ich mit einem wunderschönen lilafarbenen Saree und Helge mit einer neuen blauen Kurta ausgestattet wurden ging es noch daran festliche Schuhe zu kaufen, was sich auf meiner Seite als richtige Herausforderung entpuppte, da ich für indische Verhältnisse mit einer Schuhgröße 40 weit über dem Durchschnitt liege. An einem anderen Tag bin ich bin Sonal erneut losgefahren, Ziel war der belebteste Teil Nagpurs um passende Armreifen zu meinem Saree, ein Petticoat und noch ein Paar andere Besorgungen zu kaufen.

Der erste Tag der Hochzeits-Zelebrierung begann am Sonntag damit, dass sich die enge Familie (ca. 50 Personen) Zuhause bei Sonal Zuhause trifft um sich von Henna Künstlerinnen das traditionelle Mehendi auf die Hände malen zu lassen. Damit das Design besonders intensiv wird muss das Henna erstmal 15 Minuten antrocknen bevor man seine Hände wieder bewegen kann. Danach sollte man das Henna am besten über Nacht auf der Haut lassen. Nachdem alle ihr Mehendi aufgetragen bekommen haben wurde noch gemeinsam gegessen. Die meisten von Sonals Verwandten werden über die Hochzeitstage bei ihr Zuhause untergebracht, das Haus wurde für die Hochzeit nicht nur schön geschmückt, sondern auch frisch gestrichen.

Mehendi

Für zwei der fünf Tage der Hochzeit hat mir Sonal Kleider geliehen, denn an diesen Tagen hieß es auch „dress to impress“ -und Prinzessinnen-Abendkleider standen nicht auf meiner Packliste. Für den Montagabend, an dem sich der Großteil von Sonals Familie bei ihr Zuhause offiziell zum Dinner trifft hat sie mir ein langes dunkelrotes Abendkleid und passenden Schmuck geliehen. Wir kamen an dem Abend fast eine Stunde nach dem offiziellen Beginn bei Sonal zuhause an, und trotzdem haben wir den Beginn des Essens nicht verpasst – das nennt man „Indian-standart-time“.

Sonal, ihre grosse Schwester, Swarup (die Braut)
beim Dinner (Montag)

Am Dienstag Morgen, dem Tag vor der Hochzeit kamen wir schon um 10uhr zu Sonal nach Hause um Haldi zu zelebrieren. Dieses Event war mein persönliches Highlight der ganzen Hochzeit, da es eine perfekte Mischung aus Tradition und Spaß ist. Am Tag des Haldi feiern die Familie der Braut und die des Bräutigam meist getrennt die Zeremonie die daraus besteht die Hindu Gottheit Haldi zu ehren. Hier wird zuerst die Braut von ihren Familienmitgliedern mit einer Kurkuma Paste im Gesicht und am Körper eingerieben, dieser Moment war für alle Angehörigen sehr emotional. Danach geht jeder der möchte einzeln zur Braut und darf sich gegenseitig ebenfalls Kurkuma Paste auf die Wangen schmieren. Wenn der traditionelle Teil des Events vorbei ist, geht der spaßige Teil los. Es wird laute Musik gespielt, getanzt und sich gegenseitig mit Kurkuma Paste beschmiert und mit Wasser übergossen. Am Ende des ganzen sahen wir alle aus wie Minions, gelb gefärbt durch Kurkuma und von Wasser getränkt. Es hat uns mehrere duschen und Gesichtswaschungen gebraucht und trotzdem blieben unsere Hände gelb gefärbt und unser Gesicht behielt einen Gelb film. Später gingen dann alle außer die Braut zusammen zum Haus des Bräutigams, die separat ebenfalls Haldi gefeiert haben. Die Frauen der Familie der Braut haben zahlreiche Leckereien vorbereitet die wir mitnahmen um einen weiteren Teil der Tradition zu feiern. Das Essen wird zuerst vor dem Bräutigam präsentiert, dann beginnt das spiel in dem jede Frau so tut als würde sie den Bräutigam füttern, dann im letzten Moment aber wieder zurück zieht. Dieses Spiel geht dann immer weiter, am Ende muss der Bräutigam mindestens einen Bissen von allem probieren was die Frauen mitgebracht haben.

Am Mittwoch, dem Tag der offiziellen Hochzeit musste ich schon sehr früh bei der Location sein, denn ich traf mich mit Sonal, ihren Schwestern, Tanten und ihrer Mutter zum Fertigmachen. Das war ebenfalls ein sehr schöner Moment zwischen Frauen, den ich so schnell nicht vergessen werde. Ich konnte dabei zusehen wie die anderen Frauen herausgeputzt wurden, mit dem vollen Programm; Frisur, Makeup, traditionellem Saree und natürlich Schmuck… – alles muss perfekt sein! Auch mir wurde geholfen in meinen ersten eigenen Saree zu schlüpfen, meine Haare wurden traditionell im Marathi Style hochgesteckt und mit Blumen verziert und ich wurde lieh mir ebenfalls Schmuck von Sonal. Ich wurde wie ein Teil der Familie behandelt und habe mich sehr zugehörig gefühlt. Auch wenn das Makeup für meinen Geschmack viel zu stark war, fühlte ich mich trotzdem wunderschön und werde diesen Moment in Erinnerung behalten. Bevor die Braut in den Saal eingezogen kommt wird der Bräutigam, der auf einem weißen Pferd angeritten kommt, von seiner Familie mit lauter Musik und Tanz begrüsst. Dies zieht sich so lange, bis die Braut bereit ist. Wenn die Braut fertig ist, zieht sie, unter einem Dach aus Blumen in den Saal bis zur Bühne ein. Hier wird sie vom Bräutigam in Empfang genommen und es finden zahlreiche Rituale statt, wie zum Beispiel, dass sich das Brautpaar gegenseitig Reis auf den Kopf tut und Mantras in Sanskrit gesprochen werden. Diese Rituale führen dann zur offiziellen Einigung des Brautpaars. Danach bekommt jeder die Chance auf die Bühne zu gehen und das Ehepaar zu beglückwünschen, Geschenke zu überreichen und natürlich Fotos zu schießen. Jeder der damit fertig ist kann sich dann am ausgiebigen Büffet bedienen. Später finden dann noch weitere Rituale statt, manche sind sehr emotional für die Angehörigen, da ihre Tochter nun offiziell in das Elternhaus des Ehemanns ziehen wird und somit ihre Verantwortung bei der Familie des Ehemanns liegt. (In Indien zieht man traditionell erst aus dem Elternhaus aus, wenn man heiratet- dann zieht man als Frau bei der Familie des Ehemanns ein, man wohnt also nie alleine)

Hochzeit

Das letzte Event der Hindu Hochzeit ist die „Reception“, welche am Donnerstag Abend in einer separaten Location abgehalten und von der Familie des Ehemanns organisiert wird. Die einzigen Programmpunkte ist ein weiteres Fotoshooting und ein riesiges Büffet. An diesem Abend trug ich ein weiteres geliehenes Kleid von Sonal, welches mir meinen Kindheits-Prinzessinnentraum erfüllte. Ich hatte die Chance mich gut mit einigen Verwandten und Freunden von der Familie zu unterhalten.