Besucht werden im neuen Zuhause

Moin aus Paraguay!

Jetzt sind es die letzten dreieinhalb Monate, die ich noch hier in Ciudad del Este lebe und meinen Freiwilligendienst mache. Wie eigentlich das ganze Jahr lang löst das ein Gemisch an Gefühlen aus. Während ich mich wirklich immer wieder sehr auf zuhause freue, hab ich auch total Lust auf die letzte Zeit hier. Denn so langsam beginnt hier die Zeit, in der man die Wochenenden zählen kann und irgendwann dann anfängt zu überlegen, was man alles noch machen möchte, bevor es zurück geht. Und mittlerweile habe ich sehr viel mehr Leute kennengelernt und kenne natürlich die Stadt recht gut. Von ein paar Sachen aus der letzten Zeit erzähl ich jetzt ein bisschen.

In den letzten Wochen hatten wir viel Besuch. Neben anderen Freiwilligen aus unserer Organisation aus Asunción und Argentinien haben auch meine Schwester und meine Cousine den über 10 Tausend Kilometer langen Weg auf sich genommen, um mich zu besuchen. Während meine Schwester 2019/2020 ihren Freiwilligendienst in Tansania gemacht hat, hab ich sie auch besuchen können und ich kann mich noch genau an meinen Eindruck und meine Gefühle erinnern. Ich weiß noch genau, wie beeindruckt ich von meiner Schwester war, dass sie sich in einer so fremden Umgebung ihr Leben aufgebaut hat und sich mit allem auskannte. Umso gespannter war ich natürlich auf ihren Besuch und wir haben hier schon monatelang immer gesagt, was wir alles unserer Familie zeigen wollen, wenn sie kommen. Natürlich konnte ich nicht alles, was ich in den 7 Monaten vorher gesehen hatte, zeigen. Aber einen sehr guten Eindruck von allem konnte meine Familie bekommen und es war wunderschön, denen zu zeigen, wie und wo ich hier so lebe. Denn ich erinnere mich selbst gut daran, dass die Erzählungen, nachdem man alles gesehen hat, natürlich viel besser vorstellbar sind. Für mich war es auch besonders, weil es das erste Mal nach 7 Monaten war, dass ich ein bisschen aus meiner Welt hier rausgekommen bin. Die mag ich zwar sehr gerne, aber vermisse trotzdem auch die Zuhause-Welt ab und zu. Der Besuch von meiner Schwester und meiner Cousine hat mir also auch ein bisschen ein wohles Zuhause-Gefühl gegeben.

Außerdem war es total schön, zu sehen, wie begeistert alle Gäste von der Stadt und Paraguay waren. Ich konnte allen die verschiedenen Ecken hier zeigen und nochmal deren Eindruck hören, wie besonders und wie anders Paraguay natürlich im Vergleich zu Deutschland aber auch im Vergleich zu Argentinien ist. Und die Begeisterung der Gäste wirkt sich dann auch auf einen selbst ab. Das Besondere am Leben in Ciudad del Este ist aus unserer Sicht wahrscheinlich, dass es ein sehr origineller Eindruck ist. Dadurch dass abgesehen vom Shoppingzentrum praktisch keine Fremden hierherkommen, ist es hier anders als in Asunción oder sogar Buenos Aires weniger globalisiert und ein größerer Kontrast zu Deutschland. Das bedeutet vielleicht, dass es keine Boulderhalle, keinen Hockeyverein und einige Lebensmittel nicht gibt, aber das bedeutet zum Beispiel auch, dass alle sehr interessiert sind, was wir hier machen und die meisten sehr positiv demgegenüber eingestellt sind. Letzten Samstag war eine Marktverkäuferin sogar so erfreut, dass sie uns die Erdnüsse, die wir kaufen wollten, einfach geschenkt hat. Von unserem mercado abasto, also dem Wochenmarkt,war Leon, der seinen Freiwilligendienst in Buenos Aires macht und uns hier ein Wochenende besuchen konnte, auch sehr begeistertsten und hat da einige Fotos geschossen:

Gestern hatte ich das zweite Mal in meiner Zeit hier eine dicke Lebensmittelvergiftung. Das sind dann Momente, in denen man lieber zuhause wär. Auch wenn sich meine Mitbewohnerinnen sehr lieb um mich gekümmert haben, krank und nicht zuhause zu sein ist ein bisschen blöder. Generell habe ich mich gut an Kakerlaken, Katzen, die ans Essen gehen, Stromausfälle und Sonstiges hier gewöhnt, aber insgesamt freue ich mich dann auch mein eigenes Bett zuhause und den Luxus dort. Eine oft erwähnte, aber wahre Erkenntnis eines Freiwilligendienstes ist auf jeden Fall, dass man alles Normale von zuhause dann sehr wertschätzen lernt. Und obwohl das Wasser aus der Leitung hier nicht trinkbar ist, unsere Wäsche nicht so richtig sauber wird und es immer mal nach Tierkot riecht, wenn man unsere Lebensbedingungen mit anderen in unserem unsere Viertel vergleicht, geht’s uns sehr gut. Hier gibt es auch ganz unterschiedliche Lebensbedingungen und eben auch Familien, die in Armut leben. In dem Projekt, in dem meine Mitfreiwillige Lene und ich arbeiten, dem Hogar Santa Teresa de los Niños, kommen die Kinder im Alter von 6 bis 17 Jahren aus verschiedenen familiären und finanziellen Hintergründen. Die tägliche Teilnahme am Nachhilfeunterricht, der Spielzeit und dem Essen sind für die Kinder umsonst und spendenfinanziert. Lene und ich finden, dass das Schönste am Hogar die alltägliche Geborgenheit ist. Wir kennen zwar die meisten Hintergründe der Kinder nicht, aber bei manchen wissen wir, zum Beispiel durch Erzählungen und Hausbesuche am Anfang des Jahres, dass die Verhältnisse schwierig sind. Bei vielen haben wir, soweit wir es einschätzen können, aber auch das Gefühl, dass die Kinder sehr geborgen sind. Jedenfalls schätze ich mich sehr glücklich, in einem Projekt zu arbeiten, wo ich stark das Gefühl habe, hilfreich zu sein: Den Kindern zuhören zu können, zu spielen oder in Mathe zu helfen. Jeden Tag erleben wir dabei die süßesten Situationen. Letzte Woche fragte mich ein neuer, kleiner Junge: „De que mundo sos vos?“, also aus welcher Welt ich herkomme. Normal sind auch Sprechgesänge mit unseren Namen, damit wir zum anschaukeln kommen sowie ganz viele Umarmungen und viele Kinder, die sich freuen uns zu sehen. Und auch ich freue mich immer sehr, die Kinder zu sehen. Über meinen Urlaub oder an langwierigen Besprechungstagen hab ich die auch schon immer mal vermisst.

Es gibt allerdings momentan recht große Veränderungen im Projekt. So wurde Anfang des Jahres der Kindergarten, der Teil des Projekts war, geschlossen. Außerdem wurden verschiedene Erzieher entlassen und die Kinder sind jetzt jeden Tag zwei Stunden länger da als vorher. Das bedeutet seit einigen Wochen also auch für uns zwei Stunden mehr arbeiten jeden Tag, von 7:30 bis 16:15. Das hat es nochmal deutlich energieaufwendiger gemacht. Gerade weil auch zwei Gruppen zusammengelegt wurden, also jetzt 25 Kinder in einem kleinen Raum unterrichtet werden und das nicht immer unter Kontrolle gehalten werden können, ist das teils sehr anstrengend. Diese Zusammenlegung oder auch, dass die kleinen Kinder zwischen 6 und 9 Jahren auch 2 1/2 Stunden im Klassenzimmer bleiben müssen neuerdings, sind aus unserer Sicht keine positiven Veränderungen. Die erneuten Zeiten sind zwar eine ministeriale Vorschrift, wie uns gesagt wurde, aber kaum ein Kind kann sich so lange konzentrieren, vor allem in einer großen Gruppe. Allerdings können wir daran nichts ändern, obwohl unsere Meinungen gehört sind, sind die Strukturen wie wir das mitbekommen haben etwas verstrickt und die Zeit gerade ein bisschen turbulent im Projekt. Mich stört eigentlich vor allem, dass immer mal die Dynamiken der Kindergruppen sehr unkontrolliert sind. Das liegt an Unterbesetzung, aber auch daran dass zum Beispiel eine Erzieherin oft sehr demotiviert und am Handy ist. An Tagen, an denen weniger Kinder kommen, beobachten Lene und ich, dass die Zeit im Klassenraum als auch draußen beim Spielen auf dem wunderschönen, großen Gelände viel qualitativer für die Kinder ist und nicht unkontrolliert. Ich denke, dass einen weiteren Erzieher oder eine weitere Erzieherin einzustellen helfen würde. Ich habe zwar vor, meine Sicht vielleicht bei der nächsten Besprechung zu mal darzulegen, aber tatsächlich verstehen wir dann auch nicht alles, was so vor sich geht. Und obwohl wir das Projekt sehr gut kennen und Teil der Arbeit sind, sind wir natürlich nur Freiwillige, die für ein Jahr mitarbeiten dürfen. Abgesehen von diesem Kritikpunkt ist das Hogar vor allem ein wunderschöner Ort für die Kinder.  Über 100 kommen jeden Tag in zwei Gruppen und verbringen dort eine schöne Zeit. Mir macht die Arbeit auch nach wie vor enorm viel Spaß und ich bin sehr dankbar, die Möglichkeit zu haben, das so machen zu können.

Womit ich auch sehr zufrieden bin, ist meine Freizeitgestaltung. Neben dem wöchentlichen Bachata- und Salsatanzkurs, wo wir jetzt das erste Mal zum Fortgeschrittenkurs gegangen sind und dem Fußballspielen mit einem Kollegen und seinen Freunden, habe ich endlich noch ein neues Hobby für mich gefunden. Mit unseren Besuch waren wir Padel-Tennis spielen, was wir schon immer mal ausprobieren wollten, und da habe ich eine Gruppe gefragt, ob ich mal bei denen mitspielen könne. Die haben mich direkt in ihre Gruppe hinzugefügt und seitdem spiele ich mindestens einmal die Woche mit denen Padel. Der Sport an sich macht mir sehr viel Spaß und vor allem sind alle sehr nett. Darüber freu ich mich sehr, auch die noch besser kennenzulernen. Ansonsten geh ich auch nach wie vor gerne Spazieren oder Joggen und relativ regelmäßig gehen wir mit unserem Besuch auf die große Projektwiese und schmeißen ein bisschen die Frisbee. Mir geht’s hier also insgesamt sehr gut!

Soweit von hier, liebe Grüße nach Deutschland!

Ben

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