Ankunft
Der Aufbruch lief recht automatisch ab bis ich im Flieger der österreichischen Airline saß. Der Klang Wiener Opernmusik hat mich dann beginnen lassen nachzudenken. Es war nicht viel, was ich dachte, aber immerhin funktionierte es da oben noch: Was habe ich vergessen, wie groß wird dieses Unbekannte sein, und wie weit komme ich mit meinen flüchtigen Blicken in die Lerngrammatik während der Vorbereitung mit der Sprache? Gut, dass ich sie im Handgepäck hatte. Von Wien aus ging es im großen Bogen über die Türkei, dann den Sinai bis das Flugzeug Jordanien von Süden her passierte, quer über die Wüste, und in Amman landete.
Ich hätte schwören können, dass sich die Luft anders anfühlte. Es roch anders, egal wo ich die ersten Tage war, einfach unbekannt. Die Zimmer, die Straßen, der Schulhof, die Parfums, das Essen … mittlerweile fällt es mir nur noch in wenigen Momenten auf.
Bei der Einfahrt in die jüngst ernannte Weltkulturerbestätte As-Salt, dem Ort meiner Einsatzstelle unweit von der Hauptstadt Amman, steht ein Schild, worauf geschrieben steht „As-Salt – The Place of Tolerance and Urban Hospitality“. Und diese Gastlichkeit kann ich nur bestätigen. Noch nie wurde ich in Deutschland so oft eingeladen, ohne dass es einen speziellen Anlass dafür gab. Ich war und bin schlichtweg Gast. Das ist mir jedoch ein wenig aufgestoßen, da ich möglichst tief eintauchen wollte in die Lebenswelt hier; dem steht der Gaststatus einfach entgegen, der wohl nie ganz verschwinden wird. Allerdings bemerke ich, wie sich mein Verhältnis zu den Menschen hier vor Ort doch verschiebt, was auch schön ist. Aus einem Wo kommst du her wird mittlerweile ein Wann kommst du wieder? Aber ich bin doch noch lange nicht weg von hier.
Die Einsatzstelle
Das Hier ist das Holy Land Institute for the Deaf (HLID). Hier lebe und arbeite ich. Das HLID ist eine Schule für Kinder und junge Erwachsene mit Hörbeeinträchtigung, die geleitet und unterhalten wird von der Episcopal Church in Jerusalem and the Middle East (was im Grunde die Anglikanische Kirche ist) und von vielen weltweiten Sponsoren gefördert wird. Es gibt die Schule bereits seit 60 Jahren in Salt, währenddessen sie immer mehr erweitert wurde. Somit konnte auch ein Zentrum für Taubblinde eingerichtet werden. Bald ist eine Erweiterung für ein Autismuszentrum geplant. Die Schule hat ebenso bleibende Bedeutung durch die Herausgabe eines Wörterbuches der jordanisch-arabischen Gebärdensprache und durch die Mitarbeit an einer Grammatik für Gebärdensprache.
Aktuell sind 92 Schülerinnen und Schüler an der Schule, wobei die meisten von ihnen ebenfalls auf dem Schulgelände leben. Doch gibt es außerhalb von Salt noch weitere Außenstellen, die zum HLID gehören. Am Toten Meer, im Jordantal und in jeweils einem syrischen und palästinensischen Flüchtlingscamp werden Einrichtungen betrieben, die Kinder und auch Erwachsene vor Ort unterrichten, die neben Hörbeeinträchtigungen auch andere Behinderungen haben.
Erklärtes Ziel der Schule ist es, wie üblich für soziale und diakonische Arbeit, die Kinder auf ein möglichst selbstständiges Leben in ihrem gesellschaftlichen Kontext vorzubereiten. Das bedeutet, dass neben der schulischen Ausbildung auch Werkstätten zur Verfügung stehen, in denen die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben einen Einblick in bestimmte Berufszweige zu gewinnen u. a. in die Bereiche Holzverarbeitung, Mosaik, Töpferei, Gewebehandwerk, Metallverarbeitung und Fahrzeugbau.
Brücke zum Gästehaus mit meinem Zimmer Schuleigene Lernküche, Töpferei und Mosaikwerkstatt Schulgebäude mit Erweiterungsbau
Mein Alltag
Es gibt also eine ganze Menge zu Lernen für mich durch die lange Tradition, in der die Stadt und die Schule stehen. Mein Hauptaufgabenbereich ist das Beaufsichtigen der Kinder im Internatsteil nach dem Ende ihres Schultages. Aber gerade durch das Miteinanderleben habe ich zu den Kindern, aber auch zu den Mitarbeitenden sehr viel Kontakt in meinem Alltag. Frühschichten sind nicht gerade das, was ich begehre. Für die Kinder beginnt der Tag also um 6 Uhr. Ich treffe sie dann in der Regel beim Frühstück um 7.30 Uhr. Jede Mahlzeit beginnt mit einem Gebet und endet auch mit einem solchen. Meine Freude ist immer dann besonders groß, wenn es wieder frischen in der Schulküche zubereiteten Hummus gibt – ich könnte mich darin suhlen. Auch ist das Frühstück meine Lieblingsmahlzeit, da es zuckerfreien Tee gibt, der am Abend großzügig gesüßt ist.
Nach dem Essen und dem Reinigen geht es zur Hymne auf den Schulhof und danach in die Unterrichtsklassen. Dasselbe gilt auch für mich, denn am Vormittag habe ich meine Kurse in Arabisch und in Gebärdensprache und werde selbst zum Schüler. Mit dem anschließenden Mittag wird die große Pause eingeleitet, die ich unterschiedlich verbringe. Mal unterhalte ich mich mit Schülern und Schülerinnen, mal verbringe ich die Pause bei den Lehrern und Lehrerinnen oder in der Hauswirtschaft. Das entscheidet sich meist daran, wo der Kaffee gerade frisch ist. Vor allem in den Januarwochen hat es unglaublich viel und stark geregnet, sodass die Sonne zum Aufwärmen fehlte. Mittlerweile beginnt hier jedoch der Frühling, dennoch geht es nicht ohne Winterjacke.
Am Nachmittag dann werden die Lehrkräfte in ihrer Aufsicht durch meine Kolleginnen und Kollegen und mich abgelöst. Bis zum Abendessen sind wir, wenn das Wetter es zulässt, auf dem Schulhof mit diversen Spielen; jedoch wird sich der Fußball von seiner Spitzenposition der Beliebtheit hier kaum ablösen lassen.
Ich habe ein wenig gebraucht um in die Routinen hereinzukommen. Vor allem das aufgeteilte Wochenende an der Schule auf Freitag und Sonntag, dadurch dass es eine christliche Schule in einem islamischen Land ist, mutet ungewohnt an und bringt seinen eigenen Rhythmus mit sich. Zwischendurch die Waschtage, Filmabende und Aufräumaktionen sorgen für einige Abwechslung. Den Abend verbringe ich meistens mit den jüngeren Jungs (8-14 Jahre), die sehr lebendig sind, aber nie müde werden mir Neues zu zeigen und beizubringen. Aber auch meine Kollegen sind sehr geduldig, denn die einzigen Kommunikationsmittel bei der Arbeit im Internat sind Gebärden und der Google Übersetzer (auf den ich gottlob immer weniger angewiesen bin).
Bei diesen Abenden gefällt mir besonders, dass man viel Zeit für die Kinder selbst hat, dass ich Schach für mich neu entdecken konnte, dass ich ein neues Bild von Sprache und dem Zugang zu Menschen gewinne und dass kein Tag vergeht, an dem ich nicht etwas dazugelernt habe. Ebenso dankbar bin ich dann auch für die freien Wochenenden einmal im Monat, an denen ich alleine sein kann, oder aber Zeit habe Salt, Amman und Jordanien zu erkunden und eine weitere der vielen freundlichen Bekanntschaften zu machen bei einem weiteren Kaffee. In diesen Momenten wächst die Sehnsucht nach mehr Zeit.
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