Wir haben jetzt schon den 29. Dezember 2025 und mein Blogbeitrag kommt verspätet. Das Gute daran ist aber, dass in der Zwischenzeit Weihnachten in Anaphora war und ich darüber berichten kann. Aber fangen wir erstmal da an, wo ich beim letzten Mal aufgehört hatte.
Meine Arbeit…
Zuletzt hatte ich ja noch auf dem Feld gearbeitet, doch kurz danach entschied ich mich, zu Emiliano auf die Baustelle zu kommen. Dort arbeitete ich über einen Monat und es war sogar noch besser als das Feld. Denn dort waren ungefähr 20 andere Mitarbeitende. Und ich verstand mich sofort sehr gut mit ihnen.

In Ägypten ist eine Baustelle ganz anders als in Deutschland. Es wird alles mit der Hand gemacht und dadurch ist es echt anstrengend und aufregend; es kann vorkommen, dass man sich auf einer selbst gebauten Leiter befindet und an einem Tag nicht eine, sondern zwei Sprossen dieser Leiter abfallen und das alles in einer Höhe von vier Metern… Die Leiter wird natürlich weiter genutzt danach. Und das ist genau das, was ich hier am Arbeiten liebe. Es ist ein ständiger Nervenkitzel und ich bin ein Mensch der braucht diesen Nervenkitzel im Alltag.
Dann gibt es auch Momente wo man mit zwei Eimern Zement den ganzen Tag von einem Dach zum anderem über eine kleine Holzplanke laufen muss. Und dies ist eine gute Situation, um den Humor von den anderen zu erklären, denn der, der diese Aufgabe hat wird meistens durch Sprünge auf die Enden der jeweiligen Planke zusätzlich auf die Probe gestellt, sein Gleichgewicht halten zu können.
Probleme und deren Lösung…
Ich verstand mich mit den Arbeitern so gut, dass ich begann, auch nach der Arbeit mit ihnen Zeit zu verbringen. Es ist nämlich so, dass sie nicht in die Nähe des Zentrums von Anaphora dürfen; sie bekommen auch anderes Essen, welches sie an einem separaten Ort einnehmen. Ich fing irgendwann an, immer häufiger mit ihnen zusammen zu essen und vernachlässigte dadurch meine, von meiner Chefin erwünschte Präsenz im Zentrum der Einrichtung. Dies missfiel meiner zuständigen Schwester / Chefin sehr. Ich ging z.B. nicht in die Kirche oder zu den Morgen-Meetings. Es gab noch weitere Missverständnisse und Versäumnisse meinerseits. Doch diese ließen sich durch ein Gespräch und durch die sehr engagierte Hilfe der Organisation lösen. Natürlich musste ich auch mein Verhalten ändern. Dadurch lernte ich, dass es in Anaphora essenziell ist, neben dem Erledigen der täglichen Aufgaben, sich gut in die Gemeinschaft zu integrieren. Und man sollte nichts tun, ohne es vorher mit der zuständigen Schwester abzusprechen, was mir, aufgrund meiner Kultur schwer eher fällt. Aber darum geht es ja auch bei dem Abenteuer, sich einer anderen Kultur anzupassen.
Was ich jetzt mache…
Nach der Baustelle hatte ich eine Woche im Restaurant gearbeitet und jetzt arbeite ich in der Tischlerei. Hier finde ich es perfekt. Ich arbeite in einer Werkstatt zusammen mit drei weiteren Kollegen. Dadurch formt sich eine enge Gemeinschaft und an manchen Tagen arbeitete ich auch auf einer Baustelle, um z.B. Fenster an der Kirche einzubauen.

Eine andere Neuigkeit ist, dass ich jetzt zwei Katzen habe. Schon seit zwei Monaten ungefähr. Ich habe sie adoptiert, da die Mutter gestorben ist. Und sie tun mir sehr gut. Immer, wenn ich mich schlecht fühle, muntern sie mich wieder auf. Ich muss mir nur noch überlegen, wie ich sie nach Deutschland bekomme. Eine weitere Sache, die mir aufgefallen ist, wie mich Anaphora verändert: Ich hatte mir kurz vor Weinachten fünf Tage Urlaub in Kairo genommen und schon ganz am Anfang dieser Zeit hatte ich gemerkt, wie verwildert ich war. Es ist in Anaphora total egal, wie man herumläuft. Dadurch bekam ich die ersten Tage komische Blicke. Doch habe ich das Gefühl, entspannter geworden zu sein oder eine andere Aura auszustrahlen als vorher.
Weihnachten…
Das koptische Weihnachtsfest ist am 7. Januar; am 24. Und 25. Dezember hatten wir zwei freie Tage bekommen und alle waren ganz besonders nett zu uns. Emiliano und ich haben uns einen Film angeschaut und für mich war es perfekt.
Ein Wort der Warnung…
Anaphora kann manchmal zu viel werden, denn es kann passieren, dass die zuständige Schwester wütend ist und du dich einsam fühlst. Mir z.B. ging es so, als ich keinen Kontakt mehr zu einer mir sehr wichtigen Freundin aus Deutschland hatte. Dadurch, dass man in Anaphora keine Frauen kennen lernen kann oder darf, habe ich mich total verloren gefühlt. Das Problem dann ist, dass man keine Zeit hat sich mit den Gefühlen auseinander zu setzen. Denn Momente der Schwäche sind in Anaphora schwierig. Der Alltag geht weiter und man muss funktionieren.
Allerdings…
ich liebe Ägypten und freue mich über die Erfahrung, hier sein zu können.

Viele Grüße aus Ägypten
Victor